Nicht eigenständig
Baden-Württembergs Innenminister hilft der Bundesanwaltschaft, die Theorie vom Zufallsopfer beim Heilbronner Polizistinnenmord festzuklopfen
Von Claudia Wangerin
Die 2007 in Heilbronn ermordete Polizistin Michèle Kiesewetter soll rein zufällig Opfer des »Nationalsozialistischen Untergrunds« geworden sein – dies wird bereits vor Abschluß der gerichtlichen Beweisaufnahme in einem Bericht festgeklopft, den Baden-Württembergs Innenminister Reinhold Gall (SPD) am morgigen Mittwoch dem Landtag vorlegen will. Das Motiv für den versuchten Doppelmord an Michèle Kiesewetter und ihrem Kollegen Martin A. ist demnach allgemeiner Haß auf den Staat, der plötzlich in den Vordergrund trat, nachdem die Terroristen neun Jahre ohne nennenswerten Fahndungsdruck im Untergrund gelebt und – soweit bekannt – ausschließlich aus rassistischen Gründen getötet hatten.
Der Bericht basiert auf der Arbeit der »Ermittlungsgruppe Umfeld« (EG Umfeld), die das Landeskriminalamt (LKA) im Januar 2013 eingerichtet hatte, um Bezüge des NSU nach Baden-Württemberg zu untersuchen – auch über strafrechtlich relevante Verstrickungen hinaus. Das LKA hat demnach 52 Personen ausgemacht, die direkten Kontakt zum aus Jena stammenden mutmaßlichen NSU-Kerntrio oder dessen Kontaktpersonen mit Bezug zum Südwesten hatten. Manche sollen sowohl Kontakte nach Baden-Württemberg als auch zum neofaschistischen Netzwerk Blood&Honour gehabt haben – jedoch nicht zwangsläufig zur Blood&Honour-Sektion Baden-Württemberg. Nicht bestätigt sehen die Beamten zumindest die These, daß ein Netzwerk aus dem Südwesten den Terroristen beim Leben im Untergrund half. Es stellt sich aber die Frage, ob dies ausgeschlossen werden kann, zumal die EG Umfeld erklärtermaßen keine eigenständigen strafrechtlichen Ermittlungen zum Heilbronner Polizistinnenmord führt, sondern sich nach denen des Generalbundesanwalts richtet.
Daß die Vertreter der Bundesanwaltschaft im NSU-Prozeß vor dem Oberlandesgericht München geradezu ideologisch an der Theorie vom Zufallsopfer festhalten, ist wiederum kein Geheimnis. Im Gespräch mit Journalisten verwiesen sie im Januar am Tag vor der Aussage des Geschädigten Martin A. auf die »Unredlichkeit« der Überlegung, daß es ein persönliches Motiv für einen Mordanschlag auf Polizeibeamte geben könnte. Martin A. dagegen erklärte am Folgetag vor Gericht, er sei mit den Ermittlungsergebnissen unzufrieden. In seinen Augen fehle das Motiv. »Ich weiß nicht, was Sache ist.« Daß ein personenbezogenes Motiv für einen Mordanschlag keineswegs mit einem Fehlverhalten des Opfers zu tun haben müßte, machten Nebenklagevertreter mit einem Beweisantrag deutlich, der sich mit Kiesewetters dienstlichen Einsätzen auf Neonazidemonstrationen befaßt. Demnach könnte die Beamtin sich Feinde gemacht haben, indem sie ordnungsgemäß bei szenetypischen Straftaten einschritt oder den Teilnehmern bei Kontrollen gefährliche Gegenstände abnahm. Für eine irgendwie geartete frühere Bekannschaft zwischen ihr und NSU-Mitgliedern wollen die Strafverfolger keine Belege gefunden haben – allerdings lautet eine der Kernthesen der Bundesanwaltschaft, der NSU habe nur aus drei Personen bestanden und sei von wenigen Helfern unterstützt worden. Demnach ist die Hauptangeklagte im NSU-Prozeß, Beate Zschäpe, das einzige überlebende Vollmitglied, der Mitangeklagte Ralf Wohlleben ein Helfer. Sein Schwager David F. hatte eine Gaststätte im thüringischen Oberweißbach betrieben, wo Kiesewetter zur Schule gegangen war.
jw
Baden-Württembergs Innenminister hilft der Bundesanwaltschaft, die Theorie vom Zufallsopfer beim Heilbronner Polizistinnenmord festzuklopfen
Von Claudia Wangerin
Die 2007 in Heilbronn ermordete Polizistin Michèle Kiesewetter soll rein zufällig Opfer des »Nationalsozialistischen Untergrunds« geworden sein – dies wird bereits vor Abschluß der gerichtlichen Beweisaufnahme in einem Bericht festgeklopft, den Baden-Württembergs Innenminister Reinhold Gall (SPD) am morgigen Mittwoch dem Landtag vorlegen will. Das Motiv für den versuchten Doppelmord an Michèle Kiesewetter und ihrem Kollegen Martin A. ist demnach allgemeiner Haß auf den Staat, der plötzlich in den Vordergrund trat, nachdem die Terroristen neun Jahre ohne nennenswerten Fahndungsdruck im Untergrund gelebt und – soweit bekannt – ausschließlich aus rassistischen Gründen getötet hatten.
Der Bericht basiert auf der Arbeit der »Ermittlungsgruppe Umfeld« (EG Umfeld), die das Landeskriminalamt (LKA) im Januar 2013 eingerichtet hatte, um Bezüge des NSU nach Baden-Württemberg zu untersuchen – auch über strafrechtlich relevante Verstrickungen hinaus. Das LKA hat demnach 52 Personen ausgemacht, die direkten Kontakt zum aus Jena stammenden mutmaßlichen NSU-Kerntrio oder dessen Kontaktpersonen mit Bezug zum Südwesten hatten. Manche sollen sowohl Kontakte nach Baden-Württemberg als auch zum neofaschistischen Netzwerk Blood&Honour gehabt haben – jedoch nicht zwangsläufig zur Blood&Honour-Sektion Baden-Württemberg. Nicht bestätigt sehen die Beamten zumindest die These, daß ein Netzwerk aus dem Südwesten den Terroristen beim Leben im Untergrund half. Es stellt sich aber die Frage, ob dies ausgeschlossen werden kann, zumal die EG Umfeld erklärtermaßen keine eigenständigen strafrechtlichen Ermittlungen zum Heilbronner Polizistinnenmord führt, sondern sich nach denen des Generalbundesanwalts richtet.
Daß die Vertreter der Bundesanwaltschaft im NSU-Prozeß vor dem Oberlandesgericht München geradezu ideologisch an der Theorie vom Zufallsopfer festhalten, ist wiederum kein Geheimnis. Im Gespräch mit Journalisten verwiesen sie im Januar am Tag vor der Aussage des Geschädigten Martin A. auf die »Unredlichkeit« der Überlegung, daß es ein persönliches Motiv für einen Mordanschlag auf Polizeibeamte geben könnte. Martin A. dagegen erklärte am Folgetag vor Gericht, er sei mit den Ermittlungsergebnissen unzufrieden. In seinen Augen fehle das Motiv. »Ich weiß nicht, was Sache ist.« Daß ein personenbezogenes Motiv für einen Mordanschlag keineswegs mit einem Fehlverhalten des Opfers zu tun haben müßte, machten Nebenklagevertreter mit einem Beweisantrag deutlich, der sich mit Kiesewetters dienstlichen Einsätzen auf Neonazidemonstrationen befaßt. Demnach könnte die Beamtin sich Feinde gemacht haben, indem sie ordnungsgemäß bei szenetypischen Straftaten einschritt oder den Teilnehmern bei Kontrollen gefährliche Gegenstände abnahm. Für eine irgendwie geartete frühere Bekannschaft zwischen ihr und NSU-Mitgliedern wollen die Strafverfolger keine Belege gefunden haben – allerdings lautet eine der Kernthesen der Bundesanwaltschaft, der NSU habe nur aus drei Personen bestanden und sei von wenigen Helfern unterstützt worden. Demnach ist die Hauptangeklagte im NSU-Prozeß, Beate Zschäpe, das einzige überlebende Vollmitglied, der Mitangeklagte Ralf Wohlleben ein Helfer. Sein Schwager David F. hatte eine Gaststätte im thüringischen Oberweißbach betrieben, wo Kiesewetter zur Schule gegangen war.
jw