Schweigerecht nicht reklamiert
NSU-Prozeß. Bleiben Falschaussagen von Szenezeugen ohne Konsequenzen?
Von Claudia Wangerin, München
Szenezeugen lügen offensichtlich; und das bislang ohne Konsequenzen. Darauf haben am Dienstag Nebenklagevertreter im Prozeß um die Morde und Anschläge der Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) hingewiesen.
Falsche Angaben und vorgetäuschte Erinnerungslücken warf Rechtsanwalt Alexander Hoffmann in einer Erklärung vor dem Oberlandesgericht München dem Zeugen Alexander S. vor. Der alte Freund des angeklagten Terrorhelfers Holger Gerlach ist in anderer Sache schon einmal wegen uneidlicher Falschaussage verurteilt worden. Im NSU-Prozeß war S. vor einer Woche befragt worden, weil Gerlach dem 33jährigen Kaufmann und dessen Gattin 300 Euro für die Krankenversicherungskarte der Frau gezahlt hatte. Angeblich überließen sie ihm die Karte an einem »feuchtfröhlichen Abend« 2005 oder 2006, ohne zu ahnen, daß sie für Beate Zschäpe bestimmt war, die mit den Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Untergrund lebte. Von den Verbrechen, die dem Trio seit 2011 zugeordnet werden, wußte Gerlach angeblich nichts. Daß er und Alexander S. zumindest zeitweise auch Gesinnungsfreunde waren, ist unstrittig. S. räumt eine Szenevergangenheit bis 2004 ein, aber ein Foto von 2006 zeigt ihn mit einem Neonazi, der ein T-Shirt mit der Aufschrift »Combat 18« trägt.
Gerlach hatte nach seiner Enttarnung als NSU-Helfer in Vernehmungen gesagt, er habe das Ehepaar S. quasi überreden müssen, und beteuert, es werde »kein Scheiß« mit der AOK-Karte passieren. Alexander und Silvia S. behaupteten dagegen, es habe gar kein Gespräch über die Verwendung der Karte gegeben. Nach Einschätzung von Hoffmann geht es S. nun darum, die Aufklärung des Sachverhalts zu verhindern, ohne ausdrücklich ein Schweigerecht zu reklamieren – denn dazu müssen Zeugen einräumen, daß sie sich mit wahrheitsgemäßen Angaben selbst belasten könnten.
Die Aussage von S. sei geprägt »von seinem Bemühen, da, wo er durch seine Aussage für sich oder seine Ehefrau Nachteile befürchtete, Erinnerungslücken zu präsentieren« und einer »nach außen getragenen Freude«, die Fragen der Prozeßbeteiligten ins Leere laufen zu lassen, befand Hoffmann. Der Kieler Anwalt vertritt eine der Verletzten des 2004 vom NSU verübten Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße. Mehrere Nebenklagevertreter schlossen sich der Erklärung an.
jw
NSU-Prozeß. Bleiben Falschaussagen von Szenezeugen ohne Konsequenzen?
Von Claudia Wangerin, München
Szenezeugen lügen offensichtlich; und das bislang ohne Konsequenzen. Darauf haben am Dienstag Nebenklagevertreter im Prozeß um die Morde und Anschläge der Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) hingewiesen.
Falsche Angaben und vorgetäuschte Erinnerungslücken warf Rechtsanwalt Alexander Hoffmann in einer Erklärung vor dem Oberlandesgericht München dem Zeugen Alexander S. vor. Der alte Freund des angeklagten Terrorhelfers Holger Gerlach ist in anderer Sache schon einmal wegen uneidlicher Falschaussage verurteilt worden. Im NSU-Prozeß war S. vor einer Woche befragt worden, weil Gerlach dem 33jährigen Kaufmann und dessen Gattin 300 Euro für die Krankenversicherungskarte der Frau gezahlt hatte. Angeblich überließen sie ihm die Karte an einem »feuchtfröhlichen Abend« 2005 oder 2006, ohne zu ahnen, daß sie für Beate Zschäpe bestimmt war, die mit den Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Untergrund lebte. Von den Verbrechen, die dem Trio seit 2011 zugeordnet werden, wußte Gerlach angeblich nichts. Daß er und Alexander S. zumindest zeitweise auch Gesinnungsfreunde waren, ist unstrittig. S. räumt eine Szenevergangenheit bis 2004 ein, aber ein Foto von 2006 zeigt ihn mit einem Neonazi, der ein T-Shirt mit der Aufschrift »Combat 18« trägt.
Gerlach hatte nach seiner Enttarnung als NSU-Helfer in Vernehmungen gesagt, er habe das Ehepaar S. quasi überreden müssen, und beteuert, es werde »kein Scheiß« mit der AOK-Karte passieren. Alexander und Silvia S. behaupteten dagegen, es habe gar kein Gespräch über die Verwendung der Karte gegeben. Nach Einschätzung von Hoffmann geht es S. nun darum, die Aufklärung des Sachverhalts zu verhindern, ohne ausdrücklich ein Schweigerecht zu reklamieren – denn dazu müssen Zeugen einräumen, daß sie sich mit wahrheitsgemäßen Angaben selbst belasten könnten.
Die Aussage von S. sei geprägt »von seinem Bemühen, da, wo er durch seine Aussage für sich oder seine Ehefrau Nachteile befürchtete, Erinnerungslücken zu präsentieren« und einer »nach außen getragenen Freude«, die Fragen der Prozeßbeteiligten ins Leere laufen zu lassen, befand Hoffmann. Der Kieler Anwalt vertritt eine der Verletzten des 2004 vom NSU verübten Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße. Mehrere Nebenklagevertreter schlossen sich der Erklärung an.
jw