Feindliche Übernahme
Westliche Brandstifter als Biedermänner: Nach der gezielten Destabilisierung der Ukraine rufen Washington, Brüssel und Berlin zur Stabilisierung des Landes auf
Von Reinhard Lauterbach
Die als »europäische Vermittlung« beworbene Mission in Kiew hat sich als wenig haltbar erwiesen. Seitdem am Freitag die Schlägerfraktion vom Maidan die faktische Macht in der Ukraine übernommen hat, beschränkt sich die EU darauf, die dortigen Politiker zu »verantwortlichem Verhalten« und zur Bewahrung der territorialen Integrität des Landes aufzurufen. Rußlands Außenminister Sergej Lawrow hatte schon am Samstag die westlichen Paten der kurzlebigen Vereinbarung aufgerufen, nun für die Einhaltung der von ihnen vermittelten Beschlüsse zu sorgen. Schadenfreude? Nur ein ganz bißchen.
Vermutlich haben sich Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und Co. den Machtwechsel in der Ukraine geordneter vorgestellt. Dafür spricht eine Äußerung des polnischen Außenministers Radoslaw Sikorski noch im Zuge der Verhandlungen mit der Führung der Demonstranten am Freitag. Sikorski, offensichtlich genervt vom Unwillen der Radikalen, die Einigung zu akzeptieren, maulte die Maidan-Führer an, sie sollten gefälligst unterschreiben, sonst bekämen sie das Kriegsrecht und gingen alle über den Jordan. Und Steinmeier mahnte am Samstag die Beteiligten in der Ukraine zu Augenmaß und Kompromißfähigkeit.
Etwas anders klang die Kommentierung aus Washington. Dort rühmte sich ein hoher Beamter des Außenministeriums am Samstag, US-Vizepräsident Joseph Biden habe Janukowitsch vor praktisch jeder Entscheidung der letzten Wochen angerufen und ihn »ermutigt« zurückzustecken oder ihm »abgeraten«, energischer durchzugreifen; noch während der Verhandlungen mit den EU-Ministern habe Biden Janukowitsch ans Telefon geholt und ihm gesagt, die Zeit für eine friedliche Lösung laufe aus. Das klang schon deutlich nach Fernsteuerung der Unruhen, mit deren Anführern der US-Botschafter in Kiew nach derselben Quelle praktisch im Stundentakt telefonierte. Überdies fand der Mann kein Wort der Verurteilung für die Attacken der Radikalen und äußerte eher Verständnis dafür, daß es die Oppositionsführer »schwerhaben würden, die erreichte Lösung auf der Straße zu verkaufen«. Als dann die Sache aus Sicht Washingtons auf gutem Weg war, konnte sich der Diplomat Nachlässigkeit im Detail erlauben; eine Frage nach dem Schicksal des geschaßten Innenministers Witali Sachartschenko beantwortete er etwas lax mit den Worten: »Er hat ein Mißtrauensvotum oder eine Amtsenthebung angehängt gekriegt. Ich weiß auch nicht, wie man heute in der Ukraine einen Innenminister loswird, aber jedenfalls hat das Parlament heute gesagt, daß er gehen muß.«
Ein einstündiges Gespräch der US-amerikanischen und russischen Präsidenten Barack Obama und Wladimir Putin über die Ukraine bezeichnete der Beamte als konstruktiv und in positivem Geist geführt. Beide Seiten seien an einer Stabilisierung interessiert gewesen. An der Stabilisierung der Situation nach der aus Washington, Brüssel und Berlin inszenierten Destabiliserung. So schön kann Diplomatie sein.
jw
Westliche Brandstifter als Biedermänner: Nach der gezielten Destabilisierung der Ukraine rufen Washington, Brüssel und Berlin zur Stabilisierung des Landes auf
Von Reinhard Lauterbach
Die als »europäische Vermittlung« beworbene Mission in Kiew hat sich als wenig haltbar erwiesen. Seitdem am Freitag die Schlägerfraktion vom Maidan die faktische Macht in der Ukraine übernommen hat, beschränkt sich die EU darauf, die dortigen Politiker zu »verantwortlichem Verhalten« und zur Bewahrung der territorialen Integrität des Landes aufzurufen. Rußlands Außenminister Sergej Lawrow hatte schon am Samstag die westlichen Paten der kurzlebigen Vereinbarung aufgerufen, nun für die Einhaltung der von ihnen vermittelten Beschlüsse zu sorgen. Schadenfreude? Nur ein ganz bißchen.
Vermutlich haben sich Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier und Co. den Machtwechsel in der Ukraine geordneter vorgestellt. Dafür spricht eine Äußerung des polnischen Außenministers Radoslaw Sikorski noch im Zuge der Verhandlungen mit der Führung der Demonstranten am Freitag. Sikorski, offensichtlich genervt vom Unwillen der Radikalen, die Einigung zu akzeptieren, maulte die Maidan-Führer an, sie sollten gefälligst unterschreiben, sonst bekämen sie das Kriegsrecht und gingen alle über den Jordan. Und Steinmeier mahnte am Samstag die Beteiligten in der Ukraine zu Augenmaß und Kompromißfähigkeit.
Etwas anders klang die Kommentierung aus Washington. Dort rühmte sich ein hoher Beamter des Außenministeriums am Samstag, US-Vizepräsident Joseph Biden habe Janukowitsch vor praktisch jeder Entscheidung der letzten Wochen angerufen und ihn »ermutigt« zurückzustecken oder ihm »abgeraten«, energischer durchzugreifen; noch während der Verhandlungen mit den EU-Ministern habe Biden Janukowitsch ans Telefon geholt und ihm gesagt, die Zeit für eine friedliche Lösung laufe aus. Das klang schon deutlich nach Fernsteuerung der Unruhen, mit deren Anführern der US-Botschafter in Kiew nach derselben Quelle praktisch im Stundentakt telefonierte. Überdies fand der Mann kein Wort der Verurteilung für die Attacken der Radikalen und äußerte eher Verständnis dafür, daß es die Oppositionsführer »schwerhaben würden, die erreichte Lösung auf der Straße zu verkaufen«. Als dann die Sache aus Sicht Washingtons auf gutem Weg war, konnte sich der Diplomat Nachlässigkeit im Detail erlauben; eine Frage nach dem Schicksal des geschaßten Innenministers Witali Sachartschenko beantwortete er etwas lax mit den Worten: »Er hat ein Mißtrauensvotum oder eine Amtsenthebung angehängt gekriegt. Ich weiß auch nicht, wie man heute in der Ukraine einen Innenminister loswird, aber jedenfalls hat das Parlament heute gesagt, daß er gehen muß.«
Ein einstündiges Gespräch der US-amerikanischen und russischen Präsidenten Barack Obama und Wladimir Putin über die Ukraine bezeichnete der Beamte als konstruktiv und in positivem Geist geführt. Beide Seiten seien an einer Stabilisierung interessiert gewesen. An der Stabilisierung der Situation nach der aus Washington, Brüssel und Berlin inszenierten Destabiliserung. So schön kann Diplomatie sein.
jw