Schweiz macht dicht
Initiative gegen »Masseneinwanderung« mit knapper Mehrheit angenommen
Von Johannes Supe, Bern
Am Ende gaben 19526 Stimmen den Ausschlag. Mit der knappen Mehrheit von 50,3 Prozent bei einer Wahlbeteiligung von gut 56 Prozent wurde am Sonntag die »Masseneinwanderungsinitiative« der Schweizerischen Volkspartei (SVP) angenommen. Innerhalb der nächsten drei Jahre muß nun die bestehende Personenfreizügigkeit aufgegeben werden zugunsten einer Kontingentierung der Migration unter Maßgabe eines »Vorranges für Schweizerinnen und Schweizer« auf dem Arbeitsmarkt. Die Folge dürften massive außen- und innenpolitische Veränderungen sein.
Mit dem Entscheid ist die kleine Alpenrepublik einen weiteren Schritt in Richtung Abschottung gegangen. Medienberichte über Migranten gab es in der Schweiz in der Vergangenheit fast ausschließlich im Zusammenhang mit angeblichem Sozialbetrug. Was theoretisch gut vorbereitet wurde, wird nun in die Praxis umgesetzt. In der Bundesverfassung der Schweiz wird künftig stehen: »Der Anspruch auf dauerhaften Aufenthalt, auf Familiennachzug und auf Sozialleistungen kann beschränkt werden.« Wie sich diese Einschränkungen für die in der Schweiz lebenden Migranten auswirken, ist noch ungewiß.
Trotz der Widerstände von Bundesrat, Kapitalverbänden, Parteien und Gewerkschaften gelang es der SVP, ihre fremdenfeindliche Politik durchzusetzen. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund nimmt das Ja zur SVP-Initiative mit »großer Sorge zur Kenntnis«. Er deutete die Abstimmung als »Ausdruck einer weit verbreiteten Angst um Löhne, Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen«. Entsprechend wolle man mit einem verstärkten Einsatz für Mindestlöhne und griffigem Lohnschutz reagieren. Doch die Zeichen dafür stehen schlecht. So ließ der Nationalrat der »FDP. Die Liberalen«, Ruedi Noser, verlauten, daß es Mindestlöhne und »flankierende Maßnahmen« nun nicht mehr bräuchte. Ähnlich tönt es auch von seiten der SVP. Als Lohnschutz fungierende »flankierende Maßnahmen« waren im Zusammenhang mit der Personenfreizügigkeit eingeführt worden.
In bezug auf das Verhältnis der Schweiz zur Europäischen Union kommt dem Volksentscheid eine besondere Bedeutung zu. Bislang sind die Beziehungen der Schweiz zur EU durch sogenannte bilaterale Verträge geregelt. Diese betreffen etwa den Handel mit Agrar- und Industrieprodukten im Umfang zweistelliger Milliardenbeträge sowie die Personenfreizügigkeit. Mit dem Ergebnis des Referendums wird all dies in Frage gestellt. Die SVP spricht von »Neuverhandlungen«, doch haben EU-Vertreter bereits angekündigt, daß die Freizügigkeit nicht zur Verhandlung steht. Statt dessen mehren sich in der EU die Stimmen, die die Kündigung der bilateralen Verträge mit der Schweiz fordern. Für deren Wirtschaft wäre das mit enormen Einbußen verbunden. Bundespräsident und Außenminister Didier Burkhalter will nun Gespräche mit der EU-Administration beginnen.
»Wir werden die Beziehungen zur Schweiz überdenken«, sagte Frankreichs Außenminister Laurent Fabius am Montag dem französischen Radiosender RTL. Der Minister bezeichnete das Ergebnis des Referendums als paradox, weil die Schweiz 60 Prozent ihres Außenhandels mit der Europäischen Union betreibe. »Es muß nun Verhandlungen darüber geben, was dies in der Praxis bedeutet zwischen der Europäischen Union und der Schweiz», sagte der britische Außenminister William Hague am Montag in Brüssel. »Es gibt eine Menge Zeit, dies zu tun (…)«, so Hague. Er verwies auf die Schweizer Verfassung, die drei Jahre Zeit gebe, das Anliegen umzusetzen. Hague sagte, 40000 britische Staatsbürger arbeiteten in der Schweiz.
Auch in Berlin sorgte der Volksentscheid für Beunruhigung: Das Ergebnis werfe »erhebliche Probleme« auf, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag. Die Bundesregierung habe großes Interesse, daß das Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU »so eng wie möglich« bleibe, um sich im globalen Wettbewerb zu behaupten. Darüber müsse die Schweiz nun »schwierige Gespräche« mit der EU führen.
Noch am Abend des Abstimmungstages kam es in mehreren Schweizer Städten zu spontanen Protesten gegen die als fremdenfeindlich empfundene Initiative. In Luzern, Zürich, Basel und der Bundeshauptstadt Bern gingen je mehrere hundert Menschen auf die Straße. Sie forderten »Solidarität statt Fremdenhaß« und ein »Ende der rassistischen Migrationspolitik«
jw
Initiative gegen »Masseneinwanderung« mit knapper Mehrheit angenommen
Von Johannes Supe, Bern
Am Ende gaben 19526 Stimmen den Ausschlag. Mit der knappen Mehrheit von 50,3 Prozent bei einer Wahlbeteiligung von gut 56 Prozent wurde am Sonntag die »Masseneinwanderungsinitiative« der Schweizerischen Volkspartei (SVP) angenommen. Innerhalb der nächsten drei Jahre muß nun die bestehende Personenfreizügigkeit aufgegeben werden zugunsten einer Kontingentierung der Migration unter Maßgabe eines »Vorranges für Schweizerinnen und Schweizer« auf dem Arbeitsmarkt. Die Folge dürften massive außen- und innenpolitische Veränderungen sein.
Mit dem Entscheid ist die kleine Alpenrepublik einen weiteren Schritt in Richtung Abschottung gegangen. Medienberichte über Migranten gab es in der Schweiz in der Vergangenheit fast ausschließlich im Zusammenhang mit angeblichem Sozialbetrug. Was theoretisch gut vorbereitet wurde, wird nun in die Praxis umgesetzt. In der Bundesverfassung der Schweiz wird künftig stehen: »Der Anspruch auf dauerhaften Aufenthalt, auf Familiennachzug und auf Sozialleistungen kann beschränkt werden.« Wie sich diese Einschränkungen für die in der Schweiz lebenden Migranten auswirken, ist noch ungewiß.
Trotz der Widerstände von Bundesrat, Kapitalverbänden, Parteien und Gewerkschaften gelang es der SVP, ihre fremdenfeindliche Politik durchzusetzen. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund nimmt das Ja zur SVP-Initiative mit »großer Sorge zur Kenntnis«. Er deutete die Abstimmung als »Ausdruck einer weit verbreiteten Angst um Löhne, Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen«. Entsprechend wolle man mit einem verstärkten Einsatz für Mindestlöhne und griffigem Lohnschutz reagieren. Doch die Zeichen dafür stehen schlecht. So ließ der Nationalrat der »FDP. Die Liberalen«, Ruedi Noser, verlauten, daß es Mindestlöhne und »flankierende Maßnahmen« nun nicht mehr bräuchte. Ähnlich tönt es auch von seiten der SVP. Als Lohnschutz fungierende »flankierende Maßnahmen« waren im Zusammenhang mit der Personenfreizügigkeit eingeführt worden.
In bezug auf das Verhältnis der Schweiz zur Europäischen Union kommt dem Volksentscheid eine besondere Bedeutung zu. Bislang sind die Beziehungen der Schweiz zur EU durch sogenannte bilaterale Verträge geregelt. Diese betreffen etwa den Handel mit Agrar- und Industrieprodukten im Umfang zweistelliger Milliardenbeträge sowie die Personenfreizügigkeit. Mit dem Ergebnis des Referendums wird all dies in Frage gestellt. Die SVP spricht von »Neuverhandlungen«, doch haben EU-Vertreter bereits angekündigt, daß die Freizügigkeit nicht zur Verhandlung steht. Statt dessen mehren sich in der EU die Stimmen, die die Kündigung der bilateralen Verträge mit der Schweiz fordern. Für deren Wirtschaft wäre das mit enormen Einbußen verbunden. Bundespräsident und Außenminister Didier Burkhalter will nun Gespräche mit der EU-Administration beginnen.
»Wir werden die Beziehungen zur Schweiz überdenken«, sagte Frankreichs Außenminister Laurent Fabius am Montag dem französischen Radiosender RTL. Der Minister bezeichnete das Ergebnis des Referendums als paradox, weil die Schweiz 60 Prozent ihres Außenhandels mit der Europäischen Union betreibe. »Es muß nun Verhandlungen darüber geben, was dies in der Praxis bedeutet zwischen der Europäischen Union und der Schweiz», sagte der britische Außenminister William Hague am Montag in Brüssel. »Es gibt eine Menge Zeit, dies zu tun (…)«, so Hague. Er verwies auf die Schweizer Verfassung, die drei Jahre Zeit gebe, das Anliegen umzusetzen. Hague sagte, 40000 britische Staatsbürger arbeiteten in der Schweiz.
Auch in Berlin sorgte der Volksentscheid für Beunruhigung: Das Ergebnis werfe »erhebliche Probleme« auf, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag. Die Bundesregierung habe großes Interesse, daß das Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU »so eng wie möglich« bleibe, um sich im globalen Wettbewerb zu behaupten. Darüber müsse die Schweiz nun »schwierige Gespräche« mit der EU führen.
Noch am Abend des Abstimmungstages kam es in mehreren Schweizer Städten zu spontanen Protesten gegen die als fremdenfeindlich empfundene Initiative. In Luzern, Zürich, Basel und der Bundeshauptstadt Bern gingen je mehrere hundert Menschen auf die Straße. Sie forderten »Solidarität statt Fremdenhaß« und ein »Ende der rassistischen Migrationspolitik«
jw