»Eine neue Ära«
Der türkische Premier Erdogan besuchte Berlin. Kleinlaut haben ihn Korruptionsskandale und Massenproteste nicht gemacht
Von Thomas Eipeldauer
Zurückhaltung ist keine der Tugenden des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Man hätte ihn nach dem Massenaufstand gegen seine Regierung im vergangenen Juni und den jüngsten Korruptionsermittlungen gegen Söhne von Ministern seines Kabinetts und einflußreiche Geschäftsmänner der Regierungspartei AKP in der Defensive erwartet. Selbstkritik, Schuldeingeständnisse oder gar Zugeständnisse an Kritiker gehören aber nicht zum politischen Repertoire des früheren Mitglieds der islamistischen Untergrundorganisation Aknclar Dernegi (»Verein der Vorkämpfer«). Erdogan ist immer in der Offensive.
»Offen gestanden sind wir der Überzeugung, daß am 30. März die Demokratie, Stabilität und insbesondere die Politik einen großen Erfolg erzielen werden. Es wird mit der alten Türkei nunmehr abgeschlossen und die Ära der neuen Türkei eingeleitet werden. In der Tat schreitet die Türkei in eine neue Ära«, kommentierte der Premier die bevorstehenden Kommunalwahlen in seinem Land vor geladenen Gästen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).
In diesem einen Punkt stimmten die Demonstranten, die sich am Dienstag um 13 Uhr vor dem Brandenburger Tor auf Einladung der Alevitischen Gemeinde Deutschland versammelt hatten, mit Erdogan überein: »Er ist dabei, die Identität der Türkei zu verändern. Er will der Türkei eine neoosmanische Identität aufzwingen«, sagte einer der Redner vor etwa 2500 Menschen.
In der Einschätzung, ob dieser epochale Wandel im Interesse der Bevölkerung sei oder nicht, gehen die Meinungen allerdings weit auseinander. Die unweit des Bundestags versammelten Regierungsgegner waren sich einig, daß die »neue« Türkei des Premiers vor allem Negatives gebracht hat. Sie kritisierten Erdogans autoritären Führungsstil, die neoliberalen Reformen – vor allem im Bereich der Umstrukturierung der Metropolen des Landes –, Korruption, die fortgesetzte Diskriminierung von Aleviten und Kurden, die brutale polizeiliche und juristische Repression gegen Oppositionelle, die katastrophale Außenpolitik vor allem seit Beginn des Krieges in Syrien. Dieses Bild spiegelt die Sichtweise eines wachsenden Teils der türkischen Bevölkerung wider.
Allerdings: Die Regierungspartei AKP verfügt weiterhin über eine nicht zu unterschätzende Stammwählerschaft. Die meisten Meinungsumfragen für die bevorstehenden Wahlen sagen ihr zwar Verluste voraus, stimmenstärkste Partei dürfte sie aber aller Voraussicht nach bleiben. Diejenigen, die wenige Stunden später ins Berliner Tempodrom gekommen waren, um Erdogan, der dort auf Einladung der AKP-Lobbyorganisation Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) sprach, zu hören, sind Teil dieser treuen Anhängerschaft des Premiers. »Seit Erdogan regiert, wird die Türkei wieder stärker, wir können stolz sein, Türken zu sein«, meinte ein junger Mann mit Türkei-Fahne vor dem durch Polizei und private Sicherheitsdienste abgeriegelten Veranstaltungszentrum.
Drinnen spielte Erdogan auf eben jener Klaviatur des Nationalstolzes, die ihm einen großen Teil seiner Stimmen sichert. Er erzählte von dem wirtschaftlichen Aufschwung, der seinem Kabinett zu verdanken sei, von dem Exportwunder, das seine Politik geschaffen habe. Die Ausfuhr habe Rekordwerte erreicht, türkische Geschäftsleute erfreuen sich im Ausland großen Respekts. Die Gesundheitsversorgung sei besser geworden, das Kopftuch werde nun endlich auch in staatlichen Institutionen akzeptiert, eine blühende Demokratie sei entstanden, es herrsche Sicherheit. Und: »Wir haben begonnen, unsere eigenen Waffen, Kriegsschiffe, unsere Panzer, unsere Drohnen zu produzieren. Wir sind nun unter jenen zehn Nationen, die ihre eigenen Kriegsschiffe produzieren können.«
Der »Sultan von Ankara«, wie ihn Kritiker nennen, wirkt überzeugt von sich wie eh und je. Doch auch wenn immer noch ein bedeutender Teil der Bevölkerung seinen Kurs unterstützt: Die Widersprüche in der türkischen Gesellschaft spitzen sich zu. Der vielgerühmte »Friedensprozeß« mit der kurdischen Befreiungsbewegung stockt, weil zwar die Guerilla ihre Zusagen einhält, Erdogan aber keineswegs. Die juristische Repression gegen Oppositionelle bleibt auf hohem Niveau. Der Machtkampf mit dem einstigen Bündnispartner Fethullah Gülen, der den Hintergrund der Korruptionsermittlungen und der massenhaften Entlassung Gülen-naher Beamter abgibt, ist längst nicht ausgestanden. Und jene zivilgesellschaftliche Bewegung, die mit den Protesten gegen den Umbau des Istanbuler Gezi-Parks vergangenen Mai und Juni begann, hat einen neuen politischen Faktor geschaffen, der langfristig das Klima in der Türkei ändern wird. Bei allem Selbstvertrauen des Premiers: Unangreifbar ist er nicht.
jw
Der türkische Premier Erdogan besuchte Berlin. Kleinlaut haben ihn Korruptionsskandale und Massenproteste nicht gemacht
Von Thomas Eipeldauer
Zurückhaltung ist keine der Tugenden des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Man hätte ihn nach dem Massenaufstand gegen seine Regierung im vergangenen Juni und den jüngsten Korruptionsermittlungen gegen Söhne von Ministern seines Kabinetts und einflußreiche Geschäftsmänner der Regierungspartei AKP in der Defensive erwartet. Selbstkritik, Schuldeingeständnisse oder gar Zugeständnisse an Kritiker gehören aber nicht zum politischen Repertoire des früheren Mitglieds der islamistischen Untergrundorganisation Aknclar Dernegi (»Verein der Vorkämpfer«). Erdogan ist immer in der Offensive.
»Offen gestanden sind wir der Überzeugung, daß am 30. März die Demokratie, Stabilität und insbesondere die Politik einen großen Erfolg erzielen werden. Es wird mit der alten Türkei nunmehr abgeschlossen und die Ära der neuen Türkei eingeleitet werden. In der Tat schreitet die Türkei in eine neue Ära«, kommentierte der Premier die bevorstehenden Kommunalwahlen in seinem Land vor geladenen Gästen der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).
In diesem einen Punkt stimmten die Demonstranten, die sich am Dienstag um 13 Uhr vor dem Brandenburger Tor auf Einladung der Alevitischen Gemeinde Deutschland versammelt hatten, mit Erdogan überein: »Er ist dabei, die Identität der Türkei zu verändern. Er will der Türkei eine neoosmanische Identität aufzwingen«, sagte einer der Redner vor etwa 2500 Menschen.
In der Einschätzung, ob dieser epochale Wandel im Interesse der Bevölkerung sei oder nicht, gehen die Meinungen allerdings weit auseinander. Die unweit des Bundestags versammelten Regierungsgegner waren sich einig, daß die »neue« Türkei des Premiers vor allem Negatives gebracht hat. Sie kritisierten Erdogans autoritären Führungsstil, die neoliberalen Reformen – vor allem im Bereich der Umstrukturierung der Metropolen des Landes –, Korruption, die fortgesetzte Diskriminierung von Aleviten und Kurden, die brutale polizeiliche und juristische Repression gegen Oppositionelle, die katastrophale Außenpolitik vor allem seit Beginn des Krieges in Syrien. Dieses Bild spiegelt die Sichtweise eines wachsenden Teils der türkischen Bevölkerung wider.
Allerdings: Die Regierungspartei AKP verfügt weiterhin über eine nicht zu unterschätzende Stammwählerschaft. Die meisten Meinungsumfragen für die bevorstehenden Wahlen sagen ihr zwar Verluste voraus, stimmenstärkste Partei dürfte sie aber aller Voraussicht nach bleiben. Diejenigen, die wenige Stunden später ins Berliner Tempodrom gekommen waren, um Erdogan, der dort auf Einladung der AKP-Lobbyorganisation Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) sprach, zu hören, sind Teil dieser treuen Anhängerschaft des Premiers. »Seit Erdogan regiert, wird die Türkei wieder stärker, wir können stolz sein, Türken zu sein«, meinte ein junger Mann mit Türkei-Fahne vor dem durch Polizei und private Sicherheitsdienste abgeriegelten Veranstaltungszentrum.
Drinnen spielte Erdogan auf eben jener Klaviatur des Nationalstolzes, die ihm einen großen Teil seiner Stimmen sichert. Er erzählte von dem wirtschaftlichen Aufschwung, der seinem Kabinett zu verdanken sei, von dem Exportwunder, das seine Politik geschaffen habe. Die Ausfuhr habe Rekordwerte erreicht, türkische Geschäftsleute erfreuen sich im Ausland großen Respekts. Die Gesundheitsversorgung sei besser geworden, das Kopftuch werde nun endlich auch in staatlichen Institutionen akzeptiert, eine blühende Demokratie sei entstanden, es herrsche Sicherheit. Und: »Wir haben begonnen, unsere eigenen Waffen, Kriegsschiffe, unsere Panzer, unsere Drohnen zu produzieren. Wir sind nun unter jenen zehn Nationen, die ihre eigenen Kriegsschiffe produzieren können.«
Der »Sultan von Ankara«, wie ihn Kritiker nennen, wirkt überzeugt von sich wie eh und je. Doch auch wenn immer noch ein bedeutender Teil der Bevölkerung seinen Kurs unterstützt: Die Widersprüche in der türkischen Gesellschaft spitzen sich zu. Der vielgerühmte »Friedensprozeß« mit der kurdischen Befreiungsbewegung stockt, weil zwar die Guerilla ihre Zusagen einhält, Erdogan aber keineswegs. Die juristische Repression gegen Oppositionelle bleibt auf hohem Niveau. Der Machtkampf mit dem einstigen Bündnispartner Fethullah Gülen, der den Hintergrund der Korruptionsermittlungen und der massenhaften Entlassung Gülen-naher Beamter abgibt, ist längst nicht ausgestanden. Und jene zivilgesellschaftliche Bewegung, die mit den Protesten gegen den Umbau des Istanbuler Gezi-Parks vergangenen Mai und Juni begann, hat einen neuen politischen Faktor geschaffen, der langfristig das Klima in der Türkei ändern wird. Bei allem Selbstvertrauen des Premiers: Unangreifbar ist er nicht.
jw