Widersprüche in Aussagen
Hoyerswerda: Prozeß gegen acht Neonazis wegen Bedrohung fortgesetzt. Opferanwalt fordert Verurteilung wegen Landfriedensbruchs. Polizisten erinnern sich unterschiedlich
Von Susan Bonath
Monique und Ronny hatten regelmäßig rechte Aufkleber in ihrer Heimatstadt Hoyerswerda entfernt. Am Abend des 17. Oktober 2012 übte die braune Szene Rache: Stadtbekannte Neonazis versammelten sich vor dem Wohnhaus der beiden. Sie gelangten in den Hausflur, klemmten den Strom ab, drohten mit Mord und Vergewaltigung. Die Polizei kapitulierte: Statt zu helfen, riet sie den beiden, die Stadt sofort zu verlassen. Seither lebt das Paar anonym (jW berichtete). Gegen acht der mutmaßlichen Angreifer wurde am Montag der Prozeß vor dem Amtsgericht Hoyerswerda fortgesetzt. Ein Geständnis haben die 18- bis 36jährigen nicht abgelegt. Das geplante Urteil fiel bis zum Redaktionsschluß dieser Zeitung nicht. Am Nachmittag unterbrach Richter Michael Goebel die Verhandlung für eine Beratung.
Ursprünglich war nur ein Prozeßtag angesetzt. Die Strafkammer hatte die Verhandlung am 14. Januar aber wegen der hohen Anzahl an Zeugen unterbrochen. Zudem mußte ein Beschuldigter durch die Polizei vorgeführt werden. Angeklagt sind Falk H., Sven R., Gerhard W., Kai P., Martin M., Stefan P., Silvio L. und Robert K., die laut Staatsanwaltschaft der Neonazikameradschaft »Autonome Nationalisten Hoyerswerda« angehören, wegen Bedrohung und Beleidigung. Dem Rechtsanwalt des als Nebenkläger auftretenden Paares, Klaus Bartl, reicht das nicht. Er fordert auch eine Verurteilung wegen schweren Landfriedensbruchs. Dieser Tatbestand liegt vor, wenn eine Gruppe von mehr als zehn Personen gemeinschaftlich handelt. Zwar hatte die Staatsanwaltschaft anfangs deshalb ermittelt, den Vorwurf aber nicht zur Anklage gebracht.
Das Gericht vernahm am Montag vier Zeugen, darunter drei Polizisten. Von diesen erhoffte sich Anwalt Bartl Hinweise, die einen Landfriedensbruch belegen. So muß eine Beleidigung oder Bedrohung, anders als bei Landfriedensbruch, jedem einzelnen konkret nachgewiesen werden. Bei der dafür wichtigen Frage nach der Anzahl der Täter widersprachen sich zwei Beamte jedoch: Einer will nur die Angeklagten gesehen haben, der zweite sprach von »zehn bis 15 Personen« – die Opfer hatten beim Blick durchs Fenster »mindestens 15 Rechte« gezählt. Die beiden Beamten hatten laut Bartl zuvor angegeben, die Täter erkannt und deshalb darauf verzichtet zu haben, die Personalien vor Ort aufzunehmen. Erst später, an einer Tankstelle, hatten sie die Identität von elf Verdächtigen geklärt. Der Einsatzleiter der Polizei begründete dies hingegen damit, daß die Polizei »unterlegen war«. Ferner sollte eine frühere Nachbarin der Opfer aussagen.
Die Bürgerinitiative »Pogrom 91 Hoyerswerda« hatte am Samstag das Gericht in einer Erklärung scharf kritisiert. Demnach hätten auch Neonazis, darunter NPD-Funktionäre aus Ostsachsen, den Prozeßauftakt im Zuschauerraum verfolgt und immer wieder provoziert, etwa durch Zwischenrufe und höhnisches Gelächter. Der Richter habe dies erst auf Druck der Nebenkläger angemahnt. Des Saales verwiesen, habe er niemanden, so die Initiative.
In Hoyerswerda sorgt man sich indes um den guten Ruf. Der Prozeß nütze der Stadt nicht, klagte Bürgermeister Thomas Delling (SPD) am Wochenende gegenüber regionalen Medien. So habe man sich nach den Brandanschlägen auf Flüchtlingsheime im Jahr 1991, an denen sich neben organisierten Neonazis auch Hunderte Bürger beteiligten, stets bemüht, mit Jugendarbeit rechter Gewalt vorzubeugen. Pfarrer Jörg Michel, der sich in der »Initiative Zivilcourage« engagiert, will »Neonazis aber nicht vertreiben, sondern mit ihnen reden«. Er plant, eine »Meldekette« einzurichten, um bei Vorfällen »schneller eingreifen zu können«.
Seit den Pogromen hat es in Hoyerswerda keine Unterkunft für Asylsuchende mehr gegeben. Das ändert sich demnächst. Am Donnerstag soll eine neue Einrichtung für etwa 120 Flüchtlinge öffentlich eingeweiht werden. Und die rassistische Hetze bleibt nicht aus: Seit dem 30. Dezember macht eine vermeintliche »Bürgerinitiative« namens »Nein zum Heim« auf Facebook gegen die Unterkunft mobil. Dort faseln ihre Initiatoren, wie in vielen anderen Orten Sachsens, Thüringens und Sachsen-Anhalts auch, im typischen NPD-Jargon von »Überfremdung«, »Islamterror« oder »deutschem Brauchtum«
jw
Hoyerswerda: Prozeß gegen acht Neonazis wegen Bedrohung fortgesetzt. Opferanwalt fordert Verurteilung wegen Landfriedensbruchs. Polizisten erinnern sich unterschiedlich
Von Susan Bonath
Monique und Ronny hatten regelmäßig rechte Aufkleber in ihrer Heimatstadt Hoyerswerda entfernt. Am Abend des 17. Oktober 2012 übte die braune Szene Rache: Stadtbekannte Neonazis versammelten sich vor dem Wohnhaus der beiden. Sie gelangten in den Hausflur, klemmten den Strom ab, drohten mit Mord und Vergewaltigung. Die Polizei kapitulierte: Statt zu helfen, riet sie den beiden, die Stadt sofort zu verlassen. Seither lebt das Paar anonym (jW berichtete). Gegen acht der mutmaßlichen Angreifer wurde am Montag der Prozeß vor dem Amtsgericht Hoyerswerda fortgesetzt. Ein Geständnis haben die 18- bis 36jährigen nicht abgelegt. Das geplante Urteil fiel bis zum Redaktionsschluß dieser Zeitung nicht. Am Nachmittag unterbrach Richter Michael Goebel die Verhandlung für eine Beratung.
Ursprünglich war nur ein Prozeßtag angesetzt. Die Strafkammer hatte die Verhandlung am 14. Januar aber wegen der hohen Anzahl an Zeugen unterbrochen. Zudem mußte ein Beschuldigter durch die Polizei vorgeführt werden. Angeklagt sind Falk H., Sven R., Gerhard W., Kai P., Martin M., Stefan P., Silvio L. und Robert K., die laut Staatsanwaltschaft der Neonazikameradschaft »Autonome Nationalisten Hoyerswerda« angehören, wegen Bedrohung und Beleidigung. Dem Rechtsanwalt des als Nebenkläger auftretenden Paares, Klaus Bartl, reicht das nicht. Er fordert auch eine Verurteilung wegen schweren Landfriedensbruchs. Dieser Tatbestand liegt vor, wenn eine Gruppe von mehr als zehn Personen gemeinschaftlich handelt. Zwar hatte die Staatsanwaltschaft anfangs deshalb ermittelt, den Vorwurf aber nicht zur Anklage gebracht.
Das Gericht vernahm am Montag vier Zeugen, darunter drei Polizisten. Von diesen erhoffte sich Anwalt Bartl Hinweise, die einen Landfriedensbruch belegen. So muß eine Beleidigung oder Bedrohung, anders als bei Landfriedensbruch, jedem einzelnen konkret nachgewiesen werden. Bei der dafür wichtigen Frage nach der Anzahl der Täter widersprachen sich zwei Beamte jedoch: Einer will nur die Angeklagten gesehen haben, der zweite sprach von »zehn bis 15 Personen« – die Opfer hatten beim Blick durchs Fenster »mindestens 15 Rechte« gezählt. Die beiden Beamten hatten laut Bartl zuvor angegeben, die Täter erkannt und deshalb darauf verzichtet zu haben, die Personalien vor Ort aufzunehmen. Erst später, an einer Tankstelle, hatten sie die Identität von elf Verdächtigen geklärt. Der Einsatzleiter der Polizei begründete dies hingegen damit, daß die Polizei »unterlegen war«. Ferner sollte eine frühere Nachbarin der Opfer aussagen.
Die Bürgerinitiative »Pogrom 91 Hoyerswerda« hatte am Samstag das Gericht in einer Erklärung scharf kritisiert. Demnach hätten auch Neonazis, darunter NPD-Funktionäre aus Ostsachsen, den Prozeßauftakt im Zuschauerraum verfolgt und immer wieder provoziert, etwa durch Zwischenrufe und höhnisches Gelächter. Der Richter habe dies erst auf Druck der Nebenkläger angemahnt. Des Saales verwiesen, habe er niemanden, so die Initiative.
In Hoyerswerda sorgt man sich indes um den guten Ruf. Der Prozeß nütze der Stadt nicht, klagte Bürgermeister Thomas Delling (SPD) am Wochenende gegenüber regionalen Medien. So habe man sich nach den Brandanschlägen auf Flüchtlingsheime im Jahr 1991, an denen sich neben organisierten Neonazis auch Hunderte Bürger beteiligten, stets bemüht, mit Jugendarbeit rechter Gewalt vorzubeugen. Pfarrer Jörg Michel, der sich in der »Initiative Zivilcourage« engagiert, will »Neonazis aber nicht vertreiben, sondern mit ihnen reden«. Er plant, eine »Meldekette« einzurichten, um bei Vorfällen »schneller eingreifen zu können«.
Seit den Pogromen hat es in Hoyerswerda keine Unterkunft für Asylsuchende mehr gegeben. Das ändert sich demnächst. Am Donnerstag soll eine neue Einrichtung für etwa 120 Flüchtlinge öffentlich eingeweiht werden. Und die rassistische Hetze bleibt nicht aus: Seit dem 30. Dezember macht eine vermeintliche »Bürgerinitiative« namens »Nein zum Heim« auf Facebook gegen die Unterkunft mobil. Dort faseln ihre Initiatoren, wie in vielen anderen Orten Sachsens, Thüringens und Sachsen-Anhalts auch, im typischen NPD-Jargon von »Überfremdung«, »Islamterror« oder »deutschem Brauchtum«
jw