Die Angst läuft mit
Demonstration von Roma und Unterstützern in Erfurt: Bleiberecht für Flüchtlinge und Ende von Diskriminierungen gefordert
Von John Lütten
Unter dem Motto »Für einen sofortigen Abschiebestopp! Bleiberecht für Alle!« haben am Sonnabend nachmittag rund 250 Menschen an einer antirassistischen Demonstration durch die Erfurter Innenstadt teilgenommen. Aufgerufen hatte die Initiative »Roma Thüringen« mit Unterstützung des Flüchtlingsrates, der Linkspartei und verschiedener außerparlamentarischer Gruppen und Organisationen. Die Demonstranten marschierten, der Witterung entsprechend, recht schnell vom Hauptbahnhof durch die Fußgängerpassage auf den Domplatz zur Abschlußkundgebung. An der Spitze liefen die Aktivisten der Roma-Initiative, die Masken trugen, um mögliche Repressalien der Ausländerbehörden zu vermeiden.
Der Thüringer Landtag hatte vor Weihnachten einen sogenannten Winterabschiebestopp für Roma, Ashkali und Ägypter bis einschließlich 15. Januar beschlossen. Die Ausländerbehörde des Thüringer Kyffhäuserkreises aber schuf jüngst Fakten – und ließ direkt am 15. Januar eine dreiköpfige Romafamilie aus Rockensußra abschieben. »Wir sind es leid, wir wollen endlich hier leben können, wie alle anderen auch«, rief ein junger Mann in seinem Redebeitrag. Die Initiative forderte unter anderem angemessene Sprachkurse, eine Arbeitserlaubnis für alle Geflüchteten, Kindergartenplätze und einen besseren Zugang zu medizinischer Versorgung.
Dem »Königsteiner Schlüssel« gemäß nimmt Thüringen derzeit fast drei Prozent der Flüchtlinge auf, die nach Deutschland kommen. Nach der Erstaufnahme in Eisenberg werden sie auf die Landkreise und kreisfreien Städte verteilt. 2012 waren es 1764 Menschen, im vergangenen Jahr kamen bis einschließlich Oktober 2449 Flüchtlinge nach Thüringen. Im Juli 2013 streikten Flüchtlinge in der Erstaufnahmestelle, klagten über mangelhafte Versorgung und menschenunwürdige Zustände. Gegen ein Flüchtlingsheim im ostthüringischen Greiz hetzten Bürger gemeinsam mit der neofaschistischen NPD.
Die Erfurter Roma organisieren nun selbst den Widerstand. Auch der andauernden Stigmatisierung wollen sie etwas entgegensetzen. Im Gespräch mit jW schilderte eine junge Roma die rassistischen Ausfälle ihrer Mitschüler. »Die petzen immer alles und machen mich schlecht. Die wollen nicht, daß ich hier bin«, murmelt sie schüchtern. »Als wir eben durch die Stadt gelaufen sind, hatte ich schon Angst.«
Nicht ohne Grund. Dem im Dezember veröffentlichten »Thüringen-Monitor 2013« zufolge stimmten 35 Prozent der Bewohner des Freistaats völlig oder überwiegend der Aussage »Ich hätte Probleme damit, wenn sich Sinti und Roma in meiner Wohngegend aufhalten« zu, und jeder Vierte meinte, Thüringen sei durch Ausländer »überfremdet«. Keine gute Ausgangslage für eine Region, die sich seit Bekanntwerden der Morde des »Nationalsozialistischen Untergrunds« um ein weltoffeneres Image bemüht.
»Solange die Landesregierung nichts für eine Verbesserung der Lebensbedingungen, Teilhabe- und Integrationsmöglichkeiten und eine wirkliche Willkommenskultur für Flüchtlinge tut, bleibt der Begriff Weltoffenheit eine leere Phrase«, erklärte die Linke-Landtagsabgeordnete Sabine Berninger gegenüber jW. Wer glaubhaft etwas gegen rechtspopulistische und faschistische Gruppierungen in Thüringen tun wolle, solle das im Bereich der Flüchtlingspolitik jetzt unter Beweis stellen.
Doch die genannten 35 Prozent würden wohl auch dem zustimmen, was in der Plenardebatte zum Wintererlaß aus den Reihen der CDU-SPD-Koalition zu hören war: »Wir haben es hier auch mit einer Personengruppe zu tun, die seit vielen Jahrhunderten nach festen Regeln in familiären beziehungsweise in Clanhierarchien leben. Diese besonderen Lebensumstände werden von diesen Menschen sehr genau beachtet, sind aber häufig nicht konform mit der Art und Weise zu leben, wie wir es uns vorstellen«, wußte die Landtagsabgeordnete Gudrun Holbe (CDU) dort über Roma zu berichten. Sie erntete heftigen Widerspruch von Linke- und Grünen-Politikern, auch etlichen SPD-Parlamentariern war das zuviel.
»Lernt uns als die vielfältigen Menschen kennen, die wir sind, anstatt weiter Vorurteile und rassistische Stereotype über ›die Roma‹ zu verbreiten«, hieß es auf einem Flugblatt, das von Demonstranten an Passanten verteilt wurde. Gelegenheit dazu bot eine »Roma Party«, auf der sich Roma und ihre Unterstützer anschließend bei Musik und Snacks aufwärmen und austauschen konnten.
jw
Demonstration von Roma und Unterstützern in Erfurt: Bleiberecht für Flüchtlinge und Ende von Diskriminierungen gefordert
Von John Lütten
Unter dem Motto »Für einen sofortigen Abschiebestopp! Bleiberecht für Alle!« haben am Sonnabend nachmittag rund 250 Menschen an einer antirassistischen Demonstration durch die Erfurter Innenstadt teilgenommen. Aufgerufen hatte die Initiative »Roma Thüringen« mit Unterstützung des Flüchtlingsrates, der Linkspartei und verschiedener außerparlamentarischer Gruppen und Organisationen. Die Demonstranten marschierten, der Witterung entsprechend, recht schnell vom Hauptbahnhof durch die Fußgängerpassage auf den Domplatz zur Abschlußkundgebung. An der Spitze liefen die Aktivisten der Roma-Initiative, die Masken trugen, um mögliche Repressalien der Ausländerbehörden zu vermeiden.
Der Thüringer Landtag hatte vor Weihnachten einen sogenannten Winterabschiebestopp für Roma, Ashkali und Ägypter bis einschließlich 15. Januar beschlossen. Die Ausländerbehörde des Thüringer Kyffhäuserkreises aber schuf jüngst Fakten – und ließ direkt am 15. Januar eine dreiköpfige Romafamilie aus Rockensußra abschieben. »Wir sind es leid, wir wollen endlich hier leben können, wie alle anderen auch«, rief ein junger Mann in seinem Redebeitrag. Die Initiative forderte unter anderem angemessene Sprachkurse, eine Arbeitserlaubnis für alle Geflüchteten, Kindergartenplätze und einen besseren Zugang zu medizinischer Versorgung.
Dem »Königsteiner Schlüssel« gemäß nimmt Thüringen derzeit fast drei Prozent der Flüchtlinge auf, die nach Deutschland kommen. Nach der Erstaufnahme in Eisenberg werden sie auf die Landkreise und kreisfreien Städte verteilt. 2012 waren es 1764 Menschen, im vergangenen Jahr kamen bis einschließlich Oktober 2449 Flüchtlinge nach Thüringen. Im Juli 2013 streikten Flüchtlinge in der Erstaufnahmestelle, klagten über mangelhafte Versorgung und menschenunwürdige Zustände. Gegen ein Flüchtlingsheim im ostthüringischen Greiz hetzten Bürger gemeinsam mit der neofaschistischen NPD.
Die Erfurter Roma organisieren nun selbst den Widerstand. Auch der andauernden Stigmatisierung wollen sie etwas entgegensetzen. Im Gespräch mit jW schilderte eine junge Roma die rassistischen Ausfälle ihrer Mitschüler. »Die petzen immer alles und machen mich schlecht. Die wollen nicht, daß ich hier bin«, murmelt sie schüchtern. »Als wir eben durch die Stadt gelaufen sind, hatte ich schon Angst.«
Nicht ohne Grund. Dem im Dezember veröffentlichten »Thüringen-Monitor 2013« zufolge stimmten 35 Prozent der Bewohner des Freistaats völlig oder überwiegend der Aussage »Ich hätte Probleme damit, wenn sich Sinti und Roma in meiner Wohngegend aufhalten« zu, und jeder Vierte meinte, Thüringen sei durch Ausländer »überfremdet«. Keine gute Ausgangslage für eine Region, die sich seit Bekanntwerden der Morde des »Nationalsozialistischen Untergrunds« um ein weltoffeneres Image bemüht.
»Solange die Landesregierung nichts für eine Verbesserung der Lebensbedingungen, Teilhabe- und Integrationsmöglichkeiten und eine wirkliche Willkommenskultur für Flüchtlinge tut, bleibt der Begriff Weltoffenheit eine leere Phrase«, erklärte die Linke-Landtagsabgeordnete Sabine Berninger gegenüber jW. Wer glaubhaft etwas gegen rechtspopulistische und faschistische Gruppierungen in Thüringen tun wolle, solle das im Bereich der Flüchtlingspolitik jetzt unter Beweis stellen.
Doch die genannten 35 Prozent würden wohl auch dem zustimmen, was in der Plenardebatte zum Wintererlaß aus den Reihen der CDU-SPD-Koalition zu hören war: »Wir haben es hier auch mit einer Personengruppe zu tun, die seit vielen Jahrhunderten nach festen Regeln in familiären beziehungsweise in Clanhierarchien leben. Diese besonderen Lebensumstände werden von diesen Menschen sehr genau beachtet, sind aber häufig nicht konform mit der Art und Weise zu leben, wie wir es uns vorstellen«, wußte die Landtagsabgeordnete Gudrun Holbe (CDU) dort über Roma zu berichten. Sie erntete heftigen Widerspruch von Linke- und Grünen-Politikern, auch etlichen SPD-Parlamentariern war das zuviel.
»Lernt uns als die vielfältigen Menschen kennen, die wir sind, anstatt weiter Vorurteile und rassistische Stereotype über ›die Roma‹ zu verbreiten«, hieß es auf einem Flugblatt, das von Demonstranten an Passanten verteilt wurde. Gelegenheit dazu bot eine »Roma Party«, auf der sich Roma und ihre Unterstützer anschließend bei Musik und Snacks aufwärmen und austauschen konnten.
jw