Für die Polizei ganz normal
Prozeß gegen den Gießener Linken-Politiker Dennis Stephan zeigt, wie schnell es zur zwangsweisen Einweisung in die Psychiatrie kommen kann
Von Gitta Düperthal
Der Prozeß gegen den Gießener Linken-Politiker Dennis Stephan wird immer mehr zur Farce. Der Tatvorwurf der Brandstiftung, die er angeblich in seiner Wohnung begangen haben soll, besteht vor allem aus haltlosen Gerüchten. Zudem scheint niemand zu wissen, woher diese eigentlich stammen. Auch die befragten Polizisten, die ihn deswegen festgenommen hatten, konnten am Dienstag bei der Verhandlung vor der zweiten Großen Strafkammer des Landgerichts in Gießen keine plausible Antwort geben.
Von der angeblichen Brandstiftung hätten die Polizisten nur von einem Kollegen namens Fuchs gehört. Dieser habe sie per Funk benachrichtigt, so die beiden Polizeizeugen. Woher er wiederum seine Informationen hatte, konnten sie nicht sagen. Zu erfahren war nur soviel: Am Morgen des 30. Juni 2013 gegen elf Uhr hatten vier Polizisten Dennis Stephan auf der Terrasse einer Vogelschutzhütte im Wald mit einem Laptop sitzen sehen und festgenommen. Zuvor seien sie von vier Spaziergängern informiert worden: »Dahinten ist der Verrückte.«
Die Richterin, der Angeklagte, sein Anwalt – alle bemühen sich vergebens herauszufinden, wer eigentlich als erster eine Brandstiftung behauptet hatte. »Erst heißt es, es hat einen Schwelbrand gegeben, dann plötzlich eine Brandstiftung – ein himmelweiter Unterschied«, insistiert Anwalt Thomas Saschenbrecker. »Schon bitter«, resümiert Dennis Stephan gegenüber junge Welt nach der Verhandlung: »Da wirst du in Handschellen abgeführt, monatelang nach Paragraph 10 des Hessischen Freiheitsentziehungsgesetzes wegen Eigen- oder Fremdgefährdung in die Psychiatrie eingesperrt; später mußt du erleben, daß die Polizisten gar nicht erklären können, warum das alles.«
Der Prozeß ist eine entlarvende Lehrstunde darüber, was Polizisten für normal halten und was nicht – und was daher zur Zwangseinweisung in die Psychiatrie führen kann. Für die damals an der Festnahme beteiligte Daniela Müller ist etwa Anzeichen dafür, daß jemand »nicht normal« ist, wenn er sich mit Polizisten, die zu seiner Festnahme anrücken, nicht gern unterhält und erst im Beisein seiner Lebensgefährtin zu einem aus ihrer Sicht »normalen Gespräch« bereit ist.
»Bedrohlich und verwirrt« habe Stephan gewirkt, »einschüchternd durch seinen starren Blick«. Auf Nachfragen des Gutachters legte sie nach: Er habe weder die Fäuste geballt, noch sei er aggressiv gewesen, vielmehr habe er gar nicht reagiert. Das muß ihren Kollegen, Polizeioberkommissar Matthias Fett, bewogen haben, einen Reizgaseinsatz anzudrohen: »Wenn er nicht das macht, was wir wollen, würde ich Pfefferspray einsetzen, habe ich ihm gesagt«, erklärt er vor Gericht. Zu dem Zeitpunkt war Stephan noch enorm geschwächt, weil der ehemalige Bürgermeister von Fernwald, Dieter Howe, ihn am 20. Mai mit seinem Auto überfahren hatte (jW berichtete).
Fragen hierzu beantwortet Fett mit einer Gegenfrage: »Ist das mit dem Pfefferspray denn so wichtig?«. Es müsse doch nicht »alles immer zum Negativen sein«. Schließlich habe die Drohung auch »zu Stephans Schutz gedient, damit er nicht seine Krücke anwendet«. Auf Stephans Frage: »Wie haben Sie mich körperlich wahrgenommen?«, antwortet der Polizist: »gebrechlich«. Und auf die Erkundigung, was er hätte in dieser Situation richtig machen müssen, um nicht derart bedroht zu werden, antwortet Fett: »nicht da sein«. Unter den Prozeßbeobachtern entsteht Unruhe. »Das ist ja wie Kino hier«, ruft einer.
Was aber hatten die Polizisten beim Anblick des Linken-Politikers als »bedrohlich« empfunden? Von seinem Kollegen Fuchs habe Oberkommissar Fett gehört, Stephan solle »schon mal Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte geleistet« haben. Dies stammt vermutlich aus dem Polizeicomputer. Fuchs habe Fett gesagt, daß er vorsichtig sein müsse, da »der nicht ganz normal sei«. Handschellen klackten und führten, weil trotz seiner Verletzungen zu eng angelegt, laut Stephans Aussage zu großen Schmerzen.
Prozeßbeobachter fragen: »Wie kann es sein, daß einerseits der ehemalige Bürgermeister Dieter Howe straffrei bleibt, Ermittlungen gegen ihn wegen versuchten Totschlags fallengelassen werden – andererseits ein mutmaßlich versehentlich entstandener kleiner Schwelbrand zum ausufernden Verfahren aufgeplustert und ein körperlich schwer verletzter Mann zwangspsychiatrisiert wird?« Anwalt Saschenbrecker empörte sich nach der Verhandlung gegenüber jW und meinte, daß die eigentlichen Brandstifter diejenigen seien, die seinen Mandanten mit Hilfe von Gerüchten zum Brandstifter erklären.
Der Prozeß wird fortgesetzt: Dienstag, 28. Januar, 8 bis 11.30 Uhr, anschließend Protestgang vom Landgericht zur psychiatrischen Vitos-Klinik
jw
Prozeß gegen den Gießener Linken-Politiker Dennis Stephan zeigt, wie schnell es zur zwangsweisen Einweisung in die Psychiatrie kommen kann
Von Gitta Düperthal
Der Prozeß gegen den Gießener Linken-Politiker Dennis Stephan wird immer mehr zur Farce. Der Tatvorwurf der Brandstiftung, die er angeblich in seiner Wohnung begangen haben soll, besteht vor allem aus haltlosen Gerüchten. Zudem scheint niemand zu wissen, woher diese eigentlich stammen. Auch die befragten Polizisten, die ihn deswegen festgenommen hatten, konnten am Dienstag bei der Verhandlung vor der zweiten Großen Strafkammer des Landgerichts in Gießen keine plausible Antwort geben.
Von der angeblichen Brandstiftung hätten die Polizisten nur von einem Kollegen namens Fuchs gehört. Dieser habe sie per Funk benachrichtigt, so die beiden Polizeizeugen. Woher er wiederum seine Informationen hatte, konnten sie nicht sagen. Zu erfahren war nur soviel: Am Morgen des 30. Juni 2013 gegen elf Uhr hatten vier Polizisten Dennis Stephan auf der Terrasse einer Vogelschutzhütte im Wald mit einem Laptop sitzen sehen und festgenommen. Zuvor seien sie von vier Spaziergängern informiert worden: »Dahinten ist der Verrückte.«
Die Richterin, der Angeklagte, sein Anwalt – alle bemühen sich vergebens herauszufinden, wer eigentlich als erster eine Brandstiftung behauptet hatte. »Erst heißt es, es hat einen Schwelbrand gegeben, dann plötzlich eine Brandstiftung – ein himmelweiter Unterschied«, insistiert Anwalt Thomas Saschenbrecker. »Schon bitter«, resümiert Dennis Stephan gegenüber junge Welt nach der Verhandlung: »Da wirst du in Handschellen abgeführt, monatelang nach Paragraph 10 des Hessischen Freiheitsentziehungsgesetzes wegen Eigen- oder Fremdgefährdung in die Psychiatrie eingesperrt; später mußt du erleben, daß die Polizisten gar nicht erklären können, warum das alles.«
Der Prozeß ist eine entlarvende Lehrstunde darüber, was Polizisten für normal halten und was nicht – und was daher zur Zwangseinweisung in die Psychiatrie führen kann. Für die damals an der Festnahme beteiligte Daniela Müller ist etwa Anzeichen dafür, daß jemand »nicht normal« ist, wenn er sich mit Polizisten, die zu seiner Festnahme anrücken, nicht gern unterhält und erst im Beisein seiner Lebensgefährtin zu einem aus ihrer Sicht »normalen Gespräch« bereit ist.
»Bedrohlich und verwirrt« habe Stephan gewirkt, »einschüchternd durch seinen starren Blick«. Auf Nachfragen des Gutachters legte sie nach: Er habe weder die Fäuste geballt, noch sei er aggressiv gewesen, vielmehr habe er gar nicht reagiert. Das muß ihren Kollegen, Polizeioberkommissar Matthias Fett, bewogen haben, einen Reizgaseinsatz anzudrohen: »Wenn er nicht das macht, was wir wollen, würde ich Pfefferspray einsetzen, habe ich ihm gesagt«, erklärt er vor Gericht. Zu dem Zeitpunkt war Stephan noch enorm geschwächt, weil der ehemalige Bürgermeister von Fernwald, Dieter Howe, ihn am 20. Mai mit seinem Auto überfahren hatte (jW berichtete).
Fragen hierzu beantwortet Fett mit einer Gegenfrage: »Ist das mit dem Pfefferspray denn so wichtig?«. Es müsse doch nicht »alles immer zum Negativen sein«. Schließlich habe die Drohung auch »zu Stephans Schutz gedient, damit er nicht seine Krücke anwendet«. Auf Stephans Frage: »Wie haben Sie mich körperlich wahrgenommen?«, antwortet der Polizist: »gebrechlich«. Und auf die Erkundigung, was er hätte in dieser Situation richtig machen müssen, um nicht derart bedroht zu werden, antwortet Fett: »nicht da sein«. Unter den Prozeßbeobachtern entsteht Unruhe. »Das ist ja wie Kino hier«, ruft einer.
Was aber hatten die Polizisten beim Anblick des Linken-Politikers als »bedrohlich« empfunden? Von seinem Kollegen Fuchs habe Oberkommissar Fett gehört, Stephan solle »schon mal Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte geleistet« haben. Dies stammt vermutlich aus dem Polizeicomputer. Fuchs habe Fett gesagt, daß er vorsichtig sein müsse, da »der nicht ganz normal sei«. Handschellen klackten und führten, weil trotz seiner Verletzungen zu eng angelegt, laut Stephans Aussage zu großen Schmerzen.
Prozeßbeobachter fragen: »Wie kann es sein, daß einerseits der ehemalige Bürgermeister Dieter Howe straffrei bleibt, Ermittlungen gegen ihn wegen versuchten Totschlags fallengelassen werden – andererseits ein mutmaßlich versehentlich entstandener kleiner Schwelbrand zum ausufernden Verfahren aufgeplustert und ein körperlich schwer verletzter Mann zwangspsychiatrisiert wird?« Anwalt Saschenbrecker empörte sich nach der Verhandlung gegenüber jW und meinte, daß die eigentlichen Brandstifter diejenigen seien, die seinen Mandanten mit Hilfe von Gerüchten zum Brandstifter erklären.
Der Prozeß wird fortgesetzt: Dienstag, 28. Januar, 8 bis 11.30 Uhr, anschließend Protestgang vom Landgericht zur psychiatrischen Vitos-Klinik
jw