Brot und Spiele
Stimmabgabe in Bayerns Kommunen: OB-Kandidaten sangen und rappten im Kampf um die Landeshauptstadt, Neonazis griffen CSU-Parolen auf
Von Claudia Wangerin
Bayerns SPD kann ihren Star an diesem Sonntag nicht mehr ins Rennen schicken: Die Wochen vor den Kommunalwahlen im Freistaat waren nicht zuletzt von wehmütigen Nachrufen auf einen quicklebendigen, schnauzbärtigen Mann geprägt. Der beliebte Münchner Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) darf sich wegen der gesetzlichen Altersgrenze nicht mehr um das Amt bewerben. Seit 1993 steht der nun 66jährige an der Spitze der Landeshauptstadt. Er machte sowohl im Trachtenanzug auf dem Oktoberfest als auch in Begleitung seiner Ehefrau beim schwul-lesbischen »Christopher Street Day« eine gute Figur. Im Kampf um die Nachfolge des »Bürger-Kings« haben sich dessen Parteifreund Dieter Reiter und sein Hauptkonkurrent Josef Schmid (CSU) so verzweifelt um ein bißchen Farbe bemüht, daß ihr Wahlkampf am Donnerstag zum akustischen Gefecht wurde. Für die Übertragung des »Duells« hatte sich der Radiosender Charivari 95.5 hergegeben. SPD-Mann Reiter, den vor dieser Kandidatur kaum jemand in München kannte, sang »Wish you were here« von Pink Floyd – und Josef alias »Seppi« Schmid, der schon erfolglos gegen Ude angetreten war, rappte mit bayerischer Färbung über »leuchtende Augen, die mich anlachen«, mühevoll gereimt auf »Kinder, die schnell heranwachsen« sowie »alte Freunde und neue Bekanntschaften«.
In Sachen »Brot und Spiele« scheint jedenfalls keiner der beiden Spitzenkandidaten Ude das Wasser reichen zu können. Vielleicht verspricht sich Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) genau deshalb von dieser Wahl, daß in der bislang von SPD und Grünen regierten Landeshauptstadt die Karten neu gemischt werden. Den bisherigen Juniorpartner im Rathaus umwirbt Seehofer offen: Er sei »absolut« für eine Zusammenarbeit der CSU mit den Grünen, sofern sie nach der Wahl rechnerisch möglich sei, zitierte ihn die Süddeutsche Zeitung am Donnerstag. München könne als Vorbild für Bündnisse zwischen Union und Grünen im ganzen Land dienen. »Da geht es um ein bundesweites Signal.« Die Umworbenen reagieren bisher verhalten auf Seehofers Balztänze. Von der grünen OB-Kandidatin Sabine Nallinger war wiederholt ein Satz zu hören, demnach sie eine Zusammenarbeit mit der CSU nur für das kleinere Übel hält, falls »Rot-Grün« rechnerisch nicht mehr möglich sein sollte: »Fast jedes Bündnis ist besser als eine große Koalition.« »Seppi« Schmid gilt für CSU-Verhältnisse als liberal. Die grüne Spitzenkandidatin soll sich mit ihm persönlich gut verstehen, hält aber eine Zusammenarbeit mit der CSU an der Basis ihrer Partei für schwer vermittelbar – ist diese doch stolz auf ihre Weltoffenheit und Toleranz, während die CSU mit Sprüchen wie »Wer betrügt, der fliegt« für eine repressive Ausländerpolitik wirbt.
Damit versuchen auch die Kleinpartei »Die Freiheit« und die »Bürgeriniative Ausländerstopp« (BIA) zu punkten. Diese gewann bei letzten Wahl sogar ein Mandat – der Sitz im Stadtrat ging an Karl Richter, der bei seiner Vereidigung den rechten Arm zum Gruß erhob. Er schließt sich den Slogans der CSU erklärtermaßen an. Auf der Liste der BIA kandidieren zudem Vanessa Becker und Daniel Thönnessen, deren Wohngemeinschaft in Obermenzing als Neonazitreff gilt – auch der zur Zeit im Münchner NSU-Prozeß angeklagte André Eminger und dessen Bruder wurden schon dort gesehen. Die Partei Die Linke ist dagegen bisher mit drei Mandaten in Münchens Rathaus vertreten. Mit Brigitte Wolf kandidiert allerdings nur eine bisherige Stadträtin dieser Partei wieder auf einem aussichtsreichen Listenplatz. Als Wahlkampfthema griffen die Münchner Linken unter anderem den Mangel an bezahlbarem Wohnraum in Deutschlands teuerster Großstadt auf
jw
Stimmabgabe in Bayerns Kommunen: OB-Kandidaten sangen und rappten im Kampf um die Landeshauptstadt, Neonazis griffen CSU-Parolen auf
Von Claudia Wangerin
Bayerns SPD kann ihren Star an diesem Sonntag nicht mehr ins Rennen schicken: Die Wochen vor den Kommunalwahlen im Freistaat waren nicht zuletzt von wehmütigen Nachrufen auf einen quicklebendigen, schnauzbärtigen Mann geprägt. Der beliebte Münchner Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) darf sich wegen der gesetzlichen Altersgrenze nicht mehr um das Amt bewerben. Seit 1993 steht der nun 66jährige an der Spitze der Landeshauptstadt. Er machte sowohl im Trachtenanzug auf dem Oktoberfest als auch in Begleitung seiner Ehefrau beim schwul-lesbischen »Christopher Street Day« eine gute Figur. Im Kampf um die Nachfolge des »Bürger-Kings« haben sich dessen Parteifreund Dieter Reiter und sein Hauptkonkurrent Josef Schmid (CSU) so verzweifelt um ein bißchen Farbe bemüht, daß ihr Wahlkampf am Donnerstag zum akustischen Gefecht wurde. Für die Übertragung des »Duells« hatte sich der Radiosender Charivari 95.5 hergegeben. SPD-Mann Reiter, den vor dieser Kandidatur kaum jemand in München kannte, sang »Wish you were here« von Pink Floyd – und Josef alias »Seppi« Schmid, der schon erfolglos gegen Ude angetreten war, rappte mit bayerischer Färbung über »leuchtende Augen, die mich anlachen«, mühevoll gereimt auf »Kinder, die schnell heranwachsen« sowie »alte Freunde und neue Bekanntschaften«.
In Sachen »Brot und Spiele« scheint jedenfalls keiner der beiden Spitzenkandidaten Ude das Wasser reichen zu können. Vielleicht verspricht sich Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) genau deshalb von dieser Wahl, daß in der bislang von SPD und Grünen regierten Landeshauptstadt die Karten neu gemischt werden. Den bisherigen Juniorpartner im Rathaus umwirbt Seehofer offen: Er sei »absolut« für eine Zusammenarbeit der CSU mit den Grünen, sofern sie nach der Wahl rechnerisch möglich sei, zitierte ihn die Süddeutsche Zeitung am Donnerstag. München könne als Vorbild für Bündnisse zwischen Union und Grünen im ganzen Land dienen. »Da geht es um ein bundesweites Signal.« Die Umworbenen reagieren bisher verhalten auf Seehofers Balztänze. Von der grünen OB-Kandidatin Sabine Nallinger war wiederholt ein Satz zu hören, demnach sie eine Zusammenarbeit mit der CSU nur für das kleinere Übel hält, falls »Rot-Grün« rechnerisch nicht mehr möglich sein sollte: »Fast jedes Bündnis ist besser als eine große Koalition.« »Seppi« Schmid gilt für CSU-Verhältnisse als liberal. Die grüne Spitzenkandidatin soll sich mit ihm persönlich gut verstehen, hält aber eine Zusammenarbeit mit der CSU an der Basis ihrer Partei für schwer vermittelbar – ist diese doch stolz auf ihre Weltoffenheit und Toleranz, während die CSU mit Sprüchen wie »Wer betrügt, der fliegt« für eine repressive Ausländerpolitik wirbt.
Damit versuchen auch die Kleinpartei »Die Freiheit« und die »Bürgeriniative Ausländerstopp« (BIA) zu punkten. Diese gewann bei letzten Wahl sogar ein Mandat – der Sitz im Stadtrat ging an Karl Richter, der bei seiner Vereidigung den rechten Arm zum Gruß erhob. Er schließt sich den Slogans der CSU erklärtermaßen an. Auf der Liste der BIA kandidieren zudem Vanessa Becker und Daniel Thönnessen, deren Wohngemeinschaft in Obermenzing als Neonazitreff gilt – auch der zur Zeit im Münchner NSU-Prozeß angeklagte André Eminger und dessen Bruder wurden schon dort gesehen. Die Partei Die Linke ist dagegen bisher mit drei Mandaten in Münchens Rathaus vertreten. Mit Brigitte Wolf kandidiert allerdings nur eine bisherige Stadträtin dieser Partei wieder auf einem aussichtsreichen Listenplatz. Als Wahlkampfthema griffen die Münchner Linken unter anderem den Mangel an bezahlbarem Wohnraum in Deutschlands teuerster Großstadt auf
jw