Das Vernichtungslager
Ralph Dobrawas Band über den Frankfurter Auschwitz-Prozeß
Von Erich Buchholz
Die Aktualität des Buches »Der Auschwitz-Prozeß« von Ralph Dobrawa kam in einer Pressemeldung vom Herbst 2013 überdeutlich zum Ausdruck: »Europas Juden fühlen sich bedroht.« 50 Jahre zuvor, am 20. Dezember 1963, hatte das Verfahren vor dem Schwurgericht beim Landgericht Frankfurt am Main begonnen. Der Autor gab seinem Werk den Untertitel: »Ein Lehrstück deutscher Geschichte.« Das ist es.
Denn es vermittelt nicht nur die im Prozeß nachgewiesenen beispiellosen Verbrechen der Nazis in Auschwitz – die industriemäßige Ermordung von ungezählten Menschen, von Juden. Es würdigt auch den Mut und die Entschlossenheit von bundesdeutschen Juristen, namentlich des Generalstaatsanwalts des Landes Hessen, Fritz Bauer, und seiner Staatsanwälte sowie des Gerichts, das Verfahren konsequent bis zur Verurteilung der angeklagten Verbrecher am 20. August 1965 durchzuführen. Die Juristen hatten mit der überbordenden Verniedlichung der Naziverbrechen zu kämpfen, einer schon im Grundgesetz (GG) angesiedelten »Verteidigung«, ja Rettung der Täter, sie waren umgeben von einem Meer an Schmähungen als »Nestbeschmutzer«.
Anklage und Urteil
Im ersten Abschnitt erinnert der Autor an die von den Alliierten eingeleiteten Schritte zur Strafverfolgung der Naziverbrecher: Nürnberger Prozeß, das Kontrollratsgesetz Nr. 10 und der darauf basierende Befehl Nr. 201 der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD), gemäß dem in Ostdeutschland deutsche Gerichte die Strafverfolgung übernehmen.
Demgegenüber markiert in der BRD das Straffreiheitsgesetz von 1949 – wie die vom Autor nicht erwähnte sofortige Abschaffung der Todesstrafe durch Artikel 102 GG, die faktisch vor allem zugunsten von NS-Verbrechern wirkte – eine entgegengesetzte Linie. Sie kam auch in Artikel 131 GG zum Ausdruck, der den »früheren Angehörigen des öffentlichen Dienstes«, also Nazibeamten und Gleichgestellten, die Fortdauer ihrer Anstellung sowie ihrer Pensionen garantierte. Der Gegensatz zwischen Ostdeutschland, später der DDR und der auffälligen Zurückhaltung der westdeutschen Justiz in dieser Hinsicht ist international bekannt. Verwiesen sei hier nur auf die Forschungen des niederländischen Strafrechtlers Christiaan Rüter dazu.
Im Zentrum des Bandes stehen Vorgeschichte und Verlauf des Frankfurter Auschwitz-Prozesses, die »Strafsache gegen Mulka und andere«. Angeklagt waren zunächst 22 NS-Verbrecher, darunter als ehemals ranghöchster SS-Mann Robert Mulka. Alle hatten angesehene zivile Berufe – Exportkaufmann, Hauptkassierer, kaufmännischer Angestellter usw. 17 wurden des Mordes in mehreren Fällen für schuldig befunden, sechs zu lebenslanger Zuchthausstrafe verurteilt, die anderen zu mehrjährigen Haftstrafen, einer zu zehn Jahren Jugendstrafe, drei aus Mangel an Beweisen freigesprochen.
Das Urteil enthält wichtige Aussagen über das KZ-System der Nazis und das KZ Auschwitz, in dem am 14. Juni 1940 der erste polnische Häftlingstransport eingetroffen war: über Unterbringung, die sanitären und hygienischen Verhältnisse, Bekleidung und Ernährung der Häftlinge, über Krankheiten und Seuchen und vor allem über die tatsächliche Behandlung der Gefangenen. Das Urteil lautete: Auschwitz war ein Vernichtungslager.
Das Buch gewinnt seinen Wert nicht nur durch einige Dokumente. Dazu zählen Auszüge aus dem Urteil, aus dem Schlußvortrag des als Nebenkläger auftretenden DDR-Rechtsanwalts Friedrich Karl Kaul (1906–1981), aus dessen Erwiderung auf die Verteidigung sowie aus dem Gutachten des Wirtschaftshistorikers Jürgen Kuczynski. Besonders wichtig wird es durch biographische Mitteilungen des Autors zu Kaul, bei dem Dobrawa als Assistent tätig war. In Posen geboren, erlebte jener mit acht Jahren den Beginn des Ersten Weltkrieges und später als dessen Folge den Umzug seiner Familie nach Berlin. Als Referendar erfuhr Kaul in einem Prozeß, daß ein früherer Untersuchungsrichter, der inzwischen zum Reichsanwalt aufgestiegen war, die Mörder von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gedeckt hatte. Er wurde Anwalt der »Roten Hilfe«, 1935 von der Gestapo verhaftet und 1936 ins KZ Dachau gebracht. Unter der Zusage, nie wieder ins Reich zurückzukehren, wurde er entlassen, emigrierte nach Lateinamerika und schließlich in die USA, wo er nach deren Eintritt in den Krieg in Texas interniert wurde.
Ofenbauer von Auschwitz
1945 kehrte er nach Deutschland zurück und erhielt beim Kammergericht Berlin eine Anwaltszulassung, die für alle vier Besatzungszonen galt. Deswegen konnte er später vor BRD-Gerichten auftreten, so im KPD-Verbotsprozeß, in mehreren Strafverfahren gegen Kommunisten und vielfach als Nebenklagevertreter für Opfer des Naziregimes. In der DDR war er durch sein Wirken im Fernsehen weithin bekannt, aber auch durch viele Bücher zur jüngeren Rechtsgeschichte. Dobrawas Band enthält Texte Kauls zur Verfolgung von Naziverbrechen.
Eine bemerkenswerte Information enthält der Abschnitt »Topf und Söhne – die Ofenbauer von Auschwitz«. Die 1878 gegründete Erfurter Firma spezialisierte sich 1914 auf Öfen für Krematorien. Die späteren Wirtschaftsbeziehungen zum Naziregime illustriert hier ein Ausschnitt aus einem Schreiben der Firma »an die Zentral-Bauleitung der Waffen-SS und Polizei Auschwitz/Ost-Oberschlesien« mit dem Schlußsatz: »Stets gern für Sie beschäftigt, empfehlen wir uns Ihnen bestens. Heil Hitler!«
Dobrawa hat mit seinem gut lesbaren, aufklärenden Buch eine wertvolle Arbeit geleistet – gerade für heute.
Ralph Dobrawa: Der Auschwitz-Prozeß - Ein Lehrstück deutscher Geschichte. Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2013, 256 Seiten, 16,99 Euro
jw
Ralph Dobrawas Band über den Frankfurter Auschwitz-Prozeß
Von Erich Buchholz
Die Aktualität des Buches »Der Auschwitz-Prozeß« von Ralph Dobrawa kam in einer Pressemeldung vom Herbst 2013 überdeutlich zum Ausdruck: »Europas Juden fühlen sich bedroht.« 50 Jahre zuvor, am 20. Dezember 1963, hatte das Verfahren vor dem Schwurgericht beim Landgericht Frankfurt am Main begonnen. Der Autor gab seinem Werk den Untertitel: »Ein Lehrstück deutscher Geschichte.« Das ist es.
Denn es vermittelt nicht nur die im Prozeß nachgewiesenen beispiellosen Verbrechen der Nazis in Auschwitz – die industriemäßige Ermordung von ungezählten Menschen, von Juden. Es würdigt auch den Mut und die Entschlossenheit von bundesdeutschen Juristen, namentlich des Generalstaatsanwalts des Landes Hessen, Fritz Bauer, und seiner Staatsanwälte sowie des Gerichts, das Verfahren konsequent bis zur Verurteilung der angeklagten Verbrecher am 20. August 1965 durchzuführen. Die Juristen hatten mit der überbordenden Verniedlichung der Naziverbrechen zu kämpfen, einer schon im Grundgesetz (GG) angesiedelten »Verteidigung«, ja Rettung der Täter, sie waren umgeben von einem Meer an Schmähungen als »Nestbeschmutzer«.
Anklage und Urteil
Im ersten Abschnitt erinnert der Autor an die von den Alliierten eingeleiteten Schritte zur Strafverfolgung der Naziverbrecher: Nürnberger Prozeß, das Kontrollratsgesetz Nr. 10 und der darauf basierende Befehl Nr. 201 der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD), gemäß dem in Ostdeutschland deutsche Gerichte die Strafverfolgung übernehmen.
Demgegenüber markiert in der BRD das Straffreiheitsgesetz von 1949 – wie die vom Autor nicht erwähnte sofortige Abschaffung der Todesstrafe durch Artikel 102 GG, die faktisch vor allem zugunsten von NS-Verbrechern wirkte – eine entgegengesetzte Linie. Sie kam auch in Artikel 131 GG zum Ausdruck, der den »früheren Angehörigen des öffentlichen Dienstes«, also Nazibeamten und Gleichgestellten, die Fortdauer ihrer Anstellung sowie ihrer Pensionen garantierte. Der Gegensatz zwischen Ostdeutschland, später der DDR und der auffälligen Zurückhaltung der westdeutschen Justiz in dieser Hinsicht ist international bekannt. Verwiesen sei hier nur auf die Forschungen des niederländischen Strafrechtlers Christiaan Rüter dazu.
Im Zentrum des Bandes stehen Vorgeschichte und Verlauf des Frankfurter Auschwitz-Prozesses, die »Strafsache gegen Mulka und andere«. Angeklagt waren zunächst 22 NS-Verbrecher, darunter als ehemals ranghöchster SS-Mann Robert Mulka. Alle hatten angesehene zivile Berufe – Exportkaufmann, Hauptkassierer, kaufmännischer Angestellter usw. 17 wurden des Mordes in mehreren Fällen für schuldig befunden, sechs zu lebenslanger Zuchthausstrafe verurteilt, die anderen zu mehrjährigen Haftstrafen, einer zu zehn Jahren Jugendstrafe, drei aus Mangel an Beweisen freigesprochen.
Das Urteil enthält wichtige Aussagen über das KZ-System der Nazis und das KZ Auschwitz, in dem am 14. Juni 1940 der erste polnische Häftlingstransport eingetroffen war: über Unterbringung, die sanitären und hygienischen Verhältnisse, Bekleidung und Ernährung der Häftlinge, über Krankheiten und Seuchen und vor allem über die tatsächliche Behandlung der Gefangenen. Das Urteil lautete: Auschwitz war ein Vernichtungslager.
Das Buch gewinnt seinen Wert nicht nur durch einige Dokumente. Dazu zählen Auszüge aus dem Urteil, aus dem Schlußvortrag des als Nebenkläger auftretenden DDR-Rechtsanwalts Friedrich Karl Kaul (1906–1981), aus dessen Erwiderung auf die Verteidigung sowie aus dem Gutachten des Wirtschaftshistorikers Jürgen Kuczynski. Besonders wichtig wird es durch biographische Mitteilungen des Autors zu Kaul, bei dem Dobrawa als Assistent tätig war. In Posen geboren, erlebte jener mit acht Jahren den Beginn des Ersten Weltkrieges und später als dessen Folge den Umzug seiner Familie nach Berlin. Als Referendar erfuhr Kaul in einem Prozeß, daß ein früherer Untersuchungsrichter, der inzwischen zum Reichsanwalt aufgestiegen war, die Mörder von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gedeckt hatte. Er wurde Anwalt der »Roten Hilfe«, 1935 von der Gestapo verhaftet und 1936 ins KZ Dachau gebracht. Unter der Zusage, nie wieder ins Reich zurückzukehren, wurde er entlassen, emigrierte nach Lateinamerika und schließlich in die USA, wo er nach deren Eintritt in den Krieg in Texas interniert wurde.
Ofenbauer von Auschwitz
1945 kehrte er nach Deutschland zurück und erhielt beim Kammergericht Berlin eine Anwaltszulassung, die für alle vier Besatzungszonen galt. Deswegen konnte er später vor BRD-Gerichten auftreten, so im KPD-Verbotsprozeß, in mehreren Strafverfahren gegen Kommunisten und vielfach als Nebenklagevertreter für Opfer des Naziregimes. In der DDR war er durch sein Wirken im Fernsehen weithin bekannt, aber auch durch viele Bücher zur jüngeren Rechtsgeschichte. Dobrawas Band enthält Texte Kauls zur Verfolgung von Naziverbrechen.
Eine bemerkenswerte Information enthält der Abschnitt »Topf und Söhne – die Ofenbauer von Auschwitz«. Die 1878 gegründete Erfurter Firma spezialisierte sich 1914 auf Öfen für Krematorien. Die späteren Wirtschaftsbeziehungen zum Naziregime illustriert hier ein Ausschnitt aus einem Schreiben der Firma »an die Zentral-Bauleitung der Waffen-SS und Polizei Auschwitz/Ost-Oberschlesien« mit dem Schlußsatz: »Stets gern für Sie beschäftigt, empfehlen wir uns Ihnen bestens. Heil Hitler!«
Dobrawa hat mit seinem gut lesbaren, aufklärenden Buch eine wertvolle Arbeit geleistet – gerade für heute.
Ralph Dobrawa: Der Auschwitz-Prozeß - Ein Lehrstück deutscher Geschichte. Verlag Das Neue Berlin, Berlin 2013, 256 Seiten, 16,99 Euro
jw