Paßwort ändern
Ukraine: Tauziehen um Krim-Referendum. Hacker legen NATO-Seiten lahm
Von Reinhard Lauterbach
Rußland und der Westen haben am Wochenende nochmals ihre gegensätzlichen Rechtsstandpunkte über die Legitimität des Volksentscheids auf der Krim deutlich gemacht. Während Rußland die Abstimmung für legitim hält, erklärten westliche Regierungen – und auch die neuen Machthaber in Kiew – das Referendum schon vor seinem Beginn für illegal. Bei dem Streit geht es letztlich darum, welches Recht man zugrundelegt. Der Westen setzt auf das geltende ukrainische Recht. Danach war die Abstimmung zweifellos illegal, da die Verfassung der Ukraine vorsieht, daß ein Referendum mit Folgen für die Staatsgrenzen nicht regional, sondern nur im gesamten Land abgehalten werden darf. Das soll Abspaltungen erschweren, dürfte allerdings die Bevölkerung der Krim und ihre prorussische Regierung nur wenig beeindrucken, da sie ja gerade von der Ukraine und den dort tonangebenden Nationalisten weg wollen. Rußland stützt seine positive Einschätzung der Rechtmäßigkeit der Abstimmung dagegen auf die UN-Charta und das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Letztlich ist die Auseinandersetzung also ein Streit darum, ob innerstaatlichem oder internationalem Recht der Vorrang gebührt; gegen die erste Option läßt sich das Argument anführen, daß nicht die Frösche um Zustimmung bitten darf, wer einen Sumpf trockenlegen will; andererseits besitzt das Völkerrecht keine Exekutivinstanz außer der UNO, und die ist in der Frage blockiert. Eine Sondersitzung des Sicherheitsrates am Samstag endete mit 13 Stimmen gegen das Krim-Referendum, einem russischen Veto und der Enthaltung Chinas.
Unterdessen machte der russische Außenminister Sergej Lawrow deutlich, daß das Krim-Referendum nicht automatisch bedeuten muß, daß Rußland die Halbinsel übernimmt. Nach einem sechsstündigen ergebnislosen Gespräch mit seinem US-Kollegen John Kerry in London sagte Lawrow am Samstag, die Ergebnisse vom Sonntag müßten »der Ausgangspunkt sein, um die weitere Zukunft der Krim festzulegen«. Rußland will sich also offensichtlich diplomatischen Spielraum bewahren und nicht zur Geisel des Abstimmungsergebnisses werden. Lawrows weitere Forderung an Kiew, die »Ausschreitungen ultranationalistischer und radikaler Gruppierungen« zu beenden, die »Andersdenkende, die russischsprachige Bevölkerung und unsere Landsleute« terrorisierten, läßt ebenfalls Verhandlungsspielraum offen – sofern denn der Westen bereit ist, seine Schützlinge in Kiew zurückzupfeifen. Daß der Ball hier in der westlichen Hälfte des Platzes liegt, dämmert auch westlichen Politikern, bisher allerdings vornehmlich pensionierten. Nach dem SPD-Veteranen Erhard Eppler äußerte sich auch das diplomatische Schwergewicht Henry Kissinger in diesem Sinne. Er regte an, für die Ukraine einen Status ähnlich dem Finnlands im Kalten Krieg zu finden: staatlich unabhängig, aber zwischen den Blöcken neutral. Der Vorschlag impliziert freilich die Rückkehr zu einer Quasi-Aufteilung Europas, die die aktiven Politiker des Westens angeblich gerade ablehnen, weil sie Rußland immerhin seine Einflußsphäre ließe.
Auf die militärischen Drohungen der NATO antwortet Rußland einstweilen spiegelbildlich und exakt im Maßstab 2:1. Auf die Verlegung von zwölf US-Jagdbombern nach Polen reagierte Moskau mit der Verlegung von sechs ähnlichen Maschinen nach Belarus; der Einsatz von zwei AWACS-Überwachungsflugzeugen der NATO über Polen und Rumänien wurde mit der Verlegung eines ähnlichen Flugzeugs der russischen Luftwaffe auf den belarussischen Stützpunkt Baranowitsche beantwortet. Und für alle Fälle zeigten offenbar prorussische Hacker, was sie können. Am Samstag legte eine Gruppe, die sich »Cyber-Berkut« nannte, mehrere Stunden lang Seiten der NATO lahm, unter anderem auch die der Dienststelle, die sich dem Schutz gegen Online-Angriffe verschrieben hat. »Mit freundlichem Gruß« empfahlen die Eindringlinge dem Leiter dieser Einheit, sein Paßwort zu ändern.
jw
Ukraine: Tauziehen um Krim-Referendum. Hacker legen NATO-Seiten lahm
Von Reinhard Lauterbach
Rußland und der Westen haben am Wochenende nochmals ihre gegensätzlichen Rechtsstandpunkte über die Legitimität des Volksentscheids auf der Krim deutlich gemacht. Während Rußland die Abstimmung für legitim hält, erklärten westliche Regierungen – und auch die neuen Machthaber in Kiew – das Referendum schon vor seinem Beginn für illegal. Bei dem Streit geht es letztlich darum, welches Recht man zugrundelegt. Der Westen setzt auf das geltende ukrainische Recht. Danach war die Abstimmung zweifellos illegal, da die Verfassung der Ukraine vorsieht, daß ein Referendum mit Folgen für die Staatsgrenzen nicht regional, sondern nur im gesamten Land abgehalten werden darf. Das soll Abspaltungen erschweren, dürfte allerdings die Bevölkerung der Krim und ihre prorussische Regierung nur wenig beeindrucken, da sie ja gerade von der Ukraine und den dort tonangebenden Nationalisten weg wollen. Rußland stützt seine positive Einschätzung der Rechtmäßigkeit der Abstimmung dagegen auf die UN-Charta und das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Letztlich ist die Auseinandersetzung also ein Streit darum, ob innerstaatlichem oder internationalem Recht der Vorrang gebührt; gegen die erste Option läßt sich das Argument anführen, daß nicht die Frösche um Zustimmung bitten darf, wer einen Sumpf trockenlegen will; andererseits besitzt das Völkerrecht keine Exekutivinstanz außer der UNO, und die ist in der Frage blockiert. Eine Sondersitzung des Sicherheitsrates am Samstag endete mit 13 Stimmen gegen das Krim-Referendum, einem russischen Veto und der Enthaltung Chinas.
Unterdessen machte der russische Außenminister Sergej Lawrow deutlich, daß das Krim-Referendum nicht automatisch bedeuten muß, daß Rußland die Halbinsel übernimmt. Nach einem sechsstündigen ergebnislosen Gespräch mit seinem US-Kollegen John Kerry in London sagte Lawrow am Samstag, die Ergebnisse vom Sonntag müßten »der Ausgangspunkt sein, um die weitere Zukunft der Krim festzulegen«. Rußland will sich also offensichtlich diplomatischen Spielraum bewahren und nicht zur Geisel des Abstimmungsergebnisses werden. Lawrows weitere Forderung an Kiew, die »Ausschreitungen ultranationalistischer und radikaler Gruppierungen« zu beenden, die »Andersdenkende, die russischsprachige Bevölkerung und unsere Landsleute« terrorisierten, läßt ebenfalls Verhandlungsspielraum offen – sofern denn der Westen bereit ist, seine Schützlinge in Kiew zurückzupfeifen. Daß der Ball hier in der westlichen Hälfte des Platzes liegt, dämmert auch westlichen Politikern, bisher allerdings vornehmlich pensionierten. Nach dem SPD-Veteranen Erhard Eppler äußerte sich auch das diplomatische Schwergewicht Henry Kissinger in diesem Sinne. Er regte an, für die Ukraine einen Status ähnlich dem Finnlands im Kalten Krieg zu finden: staatlich unabhängig, aber zwischen den Blöcken neutral. Der Vorschlag impliziert freilich die Rückkehr zu einer Quasi-Aufteilung Europas, die die aktiven Politiker des Westens angeblich gerade ablehnen, weil sie Rußland immerhin seine Einflußsphäre ließe.
Auf die militärischen Drohungen der NATO antwortet Rußland einstweilen spiegelbildlich und exakt im Maßstab 2:1. Auf die Verlegung von zwölf US-Jagdbombern nach Polen reagierte Moskau mit der Verlegung von sechs ähnlichen Maschinen nach Belarus; der Einsatz von zwei AWACS-Überwachungsflugzeugen der NATO über Polen und Rumänien wurde mit der Verlegung eines ähnlichen Flugzeugs der russischen Luftwaffe auf den belarussischen Stützpunkt Baranowitsche beantwortet. Und für alle Fälle zeigten offenbar prorussische Hacker, was sie können. Am Samstag legte eine Gruppe, die sich »Cyber-Berkut« nannte, mehrere Stunden lang Seiten der NATO lahm, unter anderem auch die der Dienststelle, die sich dem Schutz gegen Online-Angriffe verschrieben hat. »Mit freundlichem Gruß« empfahlen die Eindringlinge dem Leiter dieser Einheit, sein Paßwort zu ändern.
jw