Geschichten aus dem Hinterhof
Donald Ray Pollock erzählt vom Leben der weißen Unterschicht in den USA
Von Jürgen Lentes
Donald Ray Pollock hat seinem Geschichtenband »Knockemstiff« ein Zitat der US-amerikanischen Schriftstellerin Dawn Powell vorangestellt. »Alle Amerikaner stammen ursprünglich aus Ohio, wenn auch nur kurz.« Pollock weiß, wovon er erzählt. Er wurde selbst in dem Örtchen Knockemstiff geboren und das liegt in Ohio. Schon mit siebzehn schmiß er die Schule und arbeitete zunächst in einer Fleischfabrik, dann viele Jahre, meist als Lastwagenfahrer, in einer Papiermühle. Ende der 80er Jahre holte er seinen Schulabschluß nach und schrieb sich an der Ohio State University ein. Erst 2008, mit 54 Jahren, legte er dieses fulminante, späte Debüt vor.
Für so gut wie alle Protagonisten Pollocks ist das Leben in diesem Kaff, das in einer Senke liegt, von Geburt an eine Sackgasse. Sie gehören zum sogenannten White Trash, schlecht ausgebildet, das Hirn von zu viel schlechten Drogen und billigem Fusel durchlöchert, die Seelen eine Müllhalde voller zerbrochener Träume. Und ihr Frust entlädt sich in Gewalt, Inzest, Rassismus.
Gewalttätige Väter zerstören schon früh das Leben ihrer Söhne, so auch das des siebenjährigen Bobby, der über alle Maßen schikaniert und jeder Würde beraubt wird. Nur eines bringt sein Vater ihm bei: Gewalt. »Als ich sieben war, zeigte mir mein Vater in einer Augustnacht beim Torch-Drive-in, wie man einem Mann so richtig wehtut. Das war das einzige, was er wirklich beherrschte«, so Bobby in der Rückschau. Und so beginnt die erste Geschichte des Buchs.
Es gibt Versuche der Jungen, sich abzusetzen aus diesem amerikanischen Alptraum, sie scheitern allesamt. Der eine landet im Wohnwagen eines Truckers, eine blonde Perücke auf dem Kopf, einen fetten Männerbauch an der Rückseite seines Körpers gepreßt. Ein anderer klaut mit seinem Kumpel der Dorfdealerin deren Vorrat an Speedpillen. Statt nach Kalifornien fahren sie im sich steigernden Dauerrausch im Kreis und landen immer wieder in der Senke. Einem dritten, der 2000 Dollar erbt, gelingt ebenfalls nicht der Absprung.
Es ist eine lakonische, harte Prosa, die Pollocks Erzählstil ausmacht. Eine Prosa, die sich keinerlei Illusionen über diesen Hinterhof der USA hingibt. So sinniert der Junge Theodore über den Unterschied zwischen sich und seinem Spielgefährten William: »Die Flecken auf Williams dürren Armen hatten die Farbe einer alten Banane angenommen. Mein ganzes Leben hatte ich mir einen Vater gewünscht, aber seit Mr. Jenkins neben uns wohnte, hatte ich da so langsam meine Bedenken. Meiner hatte Mom sitzen lassen, bevor ich geboren wurde, dafür hatte ich mich immer geschämt. Aber vielleicht hatte ich ja doch Glück gehabt.«
Nichts ist hier übriggeblieben von dem Glücksversprechen für das Individuum, auf den diese Nation einmal stolz war. Pollocks zerbrochene, abgehängte Menschen sind Opfer und Täter zugleich. Sie werden in ihrer Erbärmlichkeit, ihrer Traurigkeit, ihrer Hilflosigkeit und ihren Illusionen aber nie vom Autor vorgeführt. Hin und wieder blitzt ganz kurz das auf, was den Menschen auch ausmacht, den realistischen Versuch, wirklich etwas zu verändern. Die letzte Geschichte endet mit den Sätzen: »Ich warf meine Kippe ins Gras und ging zum Wagen. Der Kampf war fast zu Ende.« Der Held dieser Geschichte hat nicht wieder angefangen zu trinken, die Chancen von seiner Familie loszukommen, sind nicht einmal schlecht. Es könnte der Bobby sein, den man bereits als siebenjährigen Jungen in der ersten Geschichte kennengelernt hat.
Pollocks Erzählzyklus über den kleinen Kosmos Knockemstiff erinnert an Sherwood Andersons bedeutendes Buch »Winesburg, Ohio« von 1919. Beiden Texten ist eine gezeichnete Karte vom Ort des Geschehens vorangestellt. Beide haben ihre Erzählungen jeweils miteinander verknüpft, die Protagonisten tauchen oft mehrmals auf, Geschehnisse in ihrer jeweiligen Provinz werden aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt. Pollock braucht sich nicht hinter seinem großen Vorbild zu verstecken, denn »Knockemstiff« enthält einige der besten Erzählungen der US-amerikanischen Literatur der vergangenen Jahre. Pollock lebt übrigens heute nicht mehr in Knockemstiff. Er ist in die Nachbarstadt Chillicothe gezogen.
Donald Ray Pollock, Knockemstiff. Liebeskind Verlag, München 2013, 256 Seiten, 18,90 Euro
jw
Donald Ray Pollock erzählt vom Leben der weißen Unterschicht in den USA
Von Jürgen Lentes
Donald Ray Pollock hat seinem Geschichtenband »Knockemstiff« ein Zitat der US-amerikanischen Schriftstellerin Dawn Powell vorangestellt. »Alle Amerikaner stammen ursprünglich aus Ohio, wenn auch nur kurz.« Pollock weiß, wovon er erzählt. Er wurde selbst in dem Örtchen Knockemstiff geboren und das liegt in Ohio. Schon mit siebzehn schmiß er die Schule und arbeitete zunächst in einer Fleischfabrik, dann viele Jahre, meist als Lastwagenfahrer, in einer Papiermühle. Ende der 80er Jahre holte er seinen Schulabschluß nach und schrieb sich an der Ohio State University ein. Erst 2008, mit 54 Jahren, legte er dieses fulminante, späte Debüt vor.
Für so gut wie alle Protagonisten Pollocks ist das Leben in diesem Kaff, das in einer Senke liegt, von Geburt an eine Sackgasse. Sie gehören zum sogenannten White Trash, schlecht ausgebildet, das Hirn von zu viel schlechten Drogen und billigem Fusel durchlöchert, die Seelen eine Müllhalde voller zerbrochener Träume. Und ihr Frust entlädt sich in Gewalt, Inzest, Rassismus.
Gewalttätige Väter zerstören schon früh das Leben ihrer Söhne, so auch das des siebenjährigen Bobby, der über alle Maßen schikaniert und jeder Würde beraubt wird. Nur eines bringt sein Vater ihm bei: Gewalt. »Als ich sieben war, zeigte mir mein Vater in einer Augustnacht beim Torch-Drive-in, wie man einem Mann so richtig wehtut. Das war das einzige, was er wirklich beherrschte«, so Bobby in der Rückschau. Und so beginnt die erste Geschichte des Buchs.
Es gibt Versuche der Jungen, sich abzusetzen aus diesem amerikanischen Alptraum, sie scheitern allesamt. Der eine landet im Wohnwagen eines Truckers, eine blonde Perücke auf dem Kopf, einen fetten Männerbauch an der Rückseite seines Körpers gepreßt. Ein anderer klaut mit seinem Kumpel der Dorfdealerin deren Vorrat an Speedpillen. Statt nach Kalifornien fahren sie im sich steigernden Dauerrausch im Kreis und landen immer wieder in der Senke. Einem dritten, der 2000 Dollar erbt, gelingt ebenfalls nicht der Absprung.
Es ist eine lakonische, harte Prosa, die Pollocks Erzählstil ausmacht. Eine Prosa, die sich keinerlei Illusionen über diesen Hinterhof der USA hingibt. So sinniert der Junge Theodore über den Unterschied zwischen sich und seinem Spielgefährten William: »Die Flecken auf Williams dürren Armen hatten die Farbe einer alten Banane angenommen. Mein ganzes Leben hatte ich mir einen Vater gewünscht, aber seit Mr. Jenkins neben uns wohnte, hatte ich da so langsam meine Bedenken. Meiner hatte Mom sitzen lassen, bevor ich geboren wurde, dafür hatte ich mich immer geschämt. Aber vielleicht hatte ich ja doch Glück gehabt.«
Nichts ist hier übriggeblieben von dem Glücksversprechen für das Individuum, auf den diese Nation einmal stolz war. Pollocks zerbrochene, abgehängte Menschen sind Opfer und Täter zugleich. Sie werden in ihrer Erbärmlichkeit, ihrer Traurigkeit, ihrer Hilflosigkeit und ihren Illusionen aber nie vom Autor vorgeführt. Hin und wieder blitzt ganz kurz das auf, was den Menschen auch ausmacht, den realistischen Versuch, wirklich etwas zu verändern. Die letzte Geschichte endet mit den Sätzen: »Ich warf meine Kippe ins Gras und ging zum Wagen. Der Kampf war fast zu Ende.« Der Held dieser Geschichte hat nicht wieder angefangen zu trinken, die Chancen von seiner Familie loszukommen, sind nicht einmal schlecht. Es könnte der Bobby sein, den man bereits als siebenjährigen Jungen in der ersten Geschichte kennengelernt hat.
Pollocks Erzählzyklus über den kleinen Kosmos Knockemstiff erinnert an Sherwood Andersons bedeutendes Buch »Winesburg, Ohio« von 1919. Beiden Texten ist eine gezeichnete Karte vom Ort des Geschehens vorangestellt. Beide haben ihre Erzählungen jeweils miteinander verknüpft, die Protagonisten tauchen oft mehrmals auf, Geschehnisse in ihrer jeweiligen Provinz werden aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt. Pollock braucht sich nicht hinter seinem großen Vorbild zu verstecken, denn »Knockemstiff« enthält einige der besten Erzählungen der US-amerikanischen Literatur der vergangenen Jahre. Pollock lebt übrigens heute nicht mehr in Knockemstiff. Er ist in die Nachbarstadt Chillicothe gezogen.
Donald Ray Pollock, Knockemstiff. Liebeskind Verlag, München 2013, 256 Seiten, 18,90 Euro
jw