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    »Unser Land war naiv« Empty »Unser Land war naiv«

    Beitrag  Admin So März 02, 2014 11:59 pm

    »Unser Land war naiv«
    In Südafrika bricht die radikale Metallarbeitergewerkschaft NUMSA mit dem regierenden African National Congress (ANC). Doch ihr Ruf nach Verstaatlichungen ruft auch gierige, neureiche Eliten auf den Plan. Zweiter Teil des Gesprächs mit Denis Goldberg
    Interview: Christian Selz


    Denis Goldberg wurde 1933 in Kapstadt geboren. Als Mitglied der Kommunistischen Partei Südafrikas (SACP) schloß er sich dem Anti-Apartheid-Kampf an und war maßgeblich am Aufbau des bewaffneten Arms des African National Congress (ANC), Umkhonto we Sizwe, beteiligt. 1964 wurde er in Pretoria gemeinsam mit Nelson Mandela und sechs weiteren Angeklagten zu lebenslanger Haft verurteilt. Nach seiner Freilassung 1985 ging Goldberg ins Exil nach London, kehrte 2002 nach Südafrika zurück und arbeitete bis 2004 als Berater des Ministers für Wasser und Forstwirtschaft, Ronnie Kasrils in der Regierung von Präsident Thabo Mbeki.

    Südafrikas größte Einzelgewerkschaft, die Metallarbeitergewerkschaft NUMSA, hat nach ihrem Sondergewerkschaftstag im Dezember bekanntgegeben, daß sie den ANC nicht mehr unterstützt. Dies, obwohl sie Mitglied im größten Gewerkschaftsdachverband, COSATU, dem Allianzpartner der Regierung aus ANC und SACP, ist. Was meinen Sie, warum eine große Organisa­tion wie die NUMSA, die immer Teil des Anti-Apartheid-Kampfes war, keine ­Chance mehr sieht, die Regierungsallianz von innen beeinflussen zu können?

    Schwarze Südafrikaner haben, wie andere Menschen auch, unterschiedliche ideologische Positionen. Die Metallarbeitergewerkschaft war immer links, manchmal ultralinks. Die glauben, wir sollten direkt zum Sozialismus übergehen. Die Aussichten auf eine sozialistische Revolution in der derzeitigen Welt halte ich für ziemlich gering. Voranzukommen zu einer größeren Sozialdemokratie ist eine Möglichkeit. Die Annahme einiger NUMSA-Ideologen ist die, daß wir gegenwärtig nicht in einer kapitalistischen Gesellschaft leben müssen, daß wir anders sein können. Ich bin mir nicht sicher, ob das mit den Großkonzernen und auch mit den Unterdrückten selbst politisch realisierbar ist. Die Leute wollen kein Chaos auf der Welt, nicht mehr Tote. Sie wollen überleben, sie wollen, daß ihre Kinder zur Schule gehen, sie wollen eine bessere Verwaltung. In meinen Augen stellt sich die Frage, was die Bedeutung unserer Nationalen Demokratischen Revolution ist. Ist sie nur die Ausweitung der Rechte, die Weiße während der Apartheid hatten, auf alle unsere Leute, oder ist sie mehr? Unsere Verfassung garantiert das Recht auf Bildung, das Recht auf Arbeit, das Recht auf ausreichende Nahrung, saubere Luft, sauberes Wasser. Ich glaube, wir haben große Fortschritte gemacht, aber wir haben die Wirtschaft nicht transformiert. Und die, die annehmen, daß der ANC eine sozialistische Organisation sei, liegen falsch. Er ist Mitglied der Sozialistischen Internationale, das ist eine sozialdemokratische Internationale, keine marxistische, sozialistische Bewegung. Die NUMSA fordert etwas, was eine Befreiungsbewegung, die mehrere Klassen in sich vereint, nicht leisten kann. Sie will, daß sich der Kampf auf die Arbeiterklasse allein konzentriert. Aber man kann keine Bourgeoisie haben ohne Proletariat, und man kann kein Proletariat haben ohne Bourgeoisie.

    Ich habe gesehen, wie meine Genossen, die sogenannten, die Kontrolle über Staatsunternehmen übernommen haben: Strom, Öl aus Kohle, Luftfahrt, Schienen. Die Regierung ist der Eigner, aber Besitz und Management sind getrennt, und die Manager haben sich häufig aus den Mitteln des öffentlichen Dienstes bereichert. Das sind Unternehmen, die unserem Volk dienen sollen. Jetzt haben wir eine neue Generation junger Führer, die sagen, wir müssen mehr verstaatlichen, damit sie auch Teil des großen Geschäfts werden können. Will ich mehr Korruption? Nein. Meiner Meinung nach ist der Zweck nicht, dem Volk zu dienen, sondern denen selbst. Das sind Leute, die sehr schnell sehr reich geworden sind – und ja, sie wurden angeklagt, aber die Fälle sind schwer zu beweisen. Und plötzlich sind sie jetzt Sozialisten und wollen dem Volk dienen. Ich glaube denen nicht.

    Es geht darum, wie man ein Volk führt. Ich persönlich denke, daß die NUMSA und andere wichtige Themen ansprechen: Armut, Armutsbekämpfung, die Lücke zwischen schlecht bezahlten Arbeitern, Fachkräften und Hochqualifizierten. Diese Lücken müssen geschlossen werden. Sonst werden wir bald soziales Chaos haben, und ich befürchte, daß auf den Straßen Blut fließt, wenn wir mit der Wut der Menschen nicht vorsichtig sind. Aber unsere Führung scheint nicht in der Lage zu sein, die Besitzenden zu überzeugen – die alten Firmenbosse, die weißen Angestellten, aber auch die Schicht der schwarzen Manager, Anteilseigner, reicher Leute, die kooptiert wurden und das System auch erhalten wollen, weil sie so schnell reich werden. Die haben keine reale Kontrolle über die Wirtschaft. 30 Prozent eines Unternehmens durch deine Beteiligungsgesellschaft zu besitzen, bedeutet keine Kontrolle, insbesondere, wenn du auf deine Anteile Geld schuldest und auf die Dividende wartest, damit du sie abzahlen kannst. Da hältst du still. Also bestimmst du nicht die Strategie. Das ist Realität. Aber fragen Sie mal die Gewerkschaften und COSATU nach ihren Investitionen – über Banken und Investmentkonzerne – in der Wirtschaft! Gewerkschaften können die Position der arbeitenden Menschen stärken, aber sie sind Teil des kapitalistischen Systems. Und wenn sie das kapitalistische System umstürzen, verlieren sie all das Geld.
    Aber es scheint, als wären sie dazu bereit.

    Das wollen wir mal sehen. Ich lebe schon länger. Ich habe die deutschen Gewerkschaften gesehen, ich habe die britischen Gewerkschaften gesehen: An dem Punkt, an dem sie wirklich in der Lage sind, die Wirtschaft zu beeinflussen, ziehen sie zurück. In England bekommt der Sekretär den Ritterschlag, wird Lord und mit Sitz im House of Lords Teil der herrschenden Klasse. In Südafrika haben wir Gewerkschaftsgeneralsekretäre, die jetzt Shareholder der Großkonzerne sind.
    Sie haben Leute erwähnt, die mit Verstaatlichungen persönliche Interessen verfolgen. Ich würde die Economic Freedom Fighters (EFF, die neue Partei des ehemaligen Präsidenten der ANC-Jugendliga, Julius Malema) in diese Schublade tun.

    Ja.
    Aber dem NUMSA-Kongreß sind regionale Gewerkschaftsversammlungen vorausgegangen, er traf eine demokratische Entscheidung. Meinen Sie, die NUMSA-Führung hätte überhaupt eine andere Option, als diesen radikalen Weg zu gehen? Würde ihr nicht das gleiche widerfahren wie der NUM, die sich 2012 gegen den Bergarbeiterstreik gestellt und massenhaft Mitglieder verloren hat?

    Ja, natürlich. Im September 1993 hat Nelson Mandela auf einer ­COSATU-Konferenz vor rund 3000 Delegierten über die kommenden ersten Wahlen gesprochen. Er hat das Regierungsprogramm des ANC diskutiert und sich dann an die Arbeiter gewandt. Er wisse, hat er gesagt, daß es unter den Gewerkschaftern ein Gefühl gebe, der ANC würde die Arbeiterklasse verraten: »Aber ihr seid der ANC, ihr seid Mitglieder eurer Gewerkschaft und des ANC und wenn wir nicht tun, was ihr wollt, wählt eine neue Führung.«

    Mandela wußte, daß viele der Gewerkschafter Mitglieder der Kommunistischen Partei waren. Zwei Drittel der dreiköpfigen Führungen in allen Orts- und Regionalverbänden des ANC waren auch SACP-Mitglieder. Chris Hani (1993 ermordeter SACP-Generalsekretär, jW) hat mir persönlich erzählt, daß Mandela ihn beauftragt hatte, das herauszufinden, und daß er völlig verblüfft war, wie stark sie waren. Aber die wurden nicht im geheimen gewählt, sondern weil sie Kommunisten waren, weil ihnen vertraut wurde. »Wenn ihr kritisch sein wollt, müßt ihr organisiert sein, ihr braucht eine starke Partei und eine klare Strategie. Dann könnt ihr unser Volk beeinflussen. Aber kritisiert nicht nur des Kritisierens wegen«, hat Mandela gesagt. Und, daß für seine Gruppe von Führern zu viel Blut vergossen worden ist, als daß sie kämpfen würden.

    Mandela war Marxist, er hat den Marxismus verstanden. Er hat gesagt, daß es nicht um Freundschaft, sondern um organisierte soziale Kräfte geht. Wenn die Arbeiterklasse eine gewisse Politik will, muß sie sich selbst und andere von deren Richtigkeit überzeugen. Die Annahme der NUMSA-Leute ist, daß wir im Sozialismus leben und daß es Leuten an Integrität mangelt, weshalb sie kapitalistischen Linien folgen.

    Wir leben in einer kapitalistischen Gesellschaft. Wir kämpfen für eine Sozialdemokratie und hoffentlich, auf lange Sicht, für den Sozialismus. Trotz des Zusammenbruchs der Sowjetunion und des Ostblocks und sogar Chinas – die größte kommunistische Partei der Welt leitet einen Staat nach dem Muster des Staatskapitalismus – glauben meine Genossen, daß wir im kleinen Südafrika eine »reine« sozialistische Gesellschaft sein können. Das ist eine Absurdität. Es ist unrealistisch und muß zu Desillusionierung und Versagen führen. In meinen Augen ist das ein Mangel an politischer Reife.
    Aber wie überzeugen sie Menschen? Im Februar 2013 habe ich in Rustenburg mit Bergarbeitern von Amplats (Anglo American Platinum, weltgrößter Platinförderer) gesprochen. Zu der Zeit befanden die sich in einem schweren Kampf. Der Konzern wollte Schächte schließen und Tausende entlassen. Wir haben über die anstehenden Wahlen geredet und alle diese Arbeiter haben mir gesagt, daß sie einst überzeugte ANC-Anhänger waren, aber daß sie die Partei nie wieder wählen würden, nachdem sie so im Stich gelassen worden seien. Die können Sie doch sicher verstehen?

    Ich verstehe sie! Natürlich! Darum sage ich immer wieder, auch in meiner Autobiographie, daß es eine Frage der Zeit ist, bis der ANC zusammenbricht, weil er nicht weiter alle sozialen Klassen in einer Organisation repräsentieren kann. Leute wie ANC- und Staatspräsident Jacob Zuma – und ich weiß nicht, ob das eine direkte Antwort auf mich war – sagen, daß die Leute, die dem ANC prophezeien, an Klassenkonflikten zu zerbrechen, den ANC nicht verstehen. Aber ich denke, ich verstehe ihn besser, weil ich analytischer bin und meine politischen Ansichten weniger auf Ethnien basieren. Die Annahme, daß Schwarze für immer für Schwarze wählen, stellt sich als falsch heraus. Und das ist eine wichtige Entwicklung in unserem Land. Die Leute denken über Themen nach und nicht über Persönlichkeiten oder Hautfarben. Obwohl es gleichzeitig ein Gefühl von »wir sind schwarz, die Regierung sollte sich exklusiv um Schwarze kümmern« gibt. Die nicht-rassische Politik ist bedroht.

    Ich habe eine Studie zu Weißen, die Teil der Befreiungsbewegung waren, erstellt. Ich habe mich einfach hingesetzt und darüber nachgedacht, wen ich kannte. Dann habe ich Freunde gefragt, zum Beispiel aus der Liberalen Partei, Leute, die unter Hausarrest waren, Leute, die im Gefängnis saßen, die wegen ihrer politischen Einstellung leiden mußten, Leute wie Neil Aggett, die unter Folter ermordet wurden. Weiße. Herausgekommen ist eine Liste von rund 600 Leuten, die allein ich kenne. Meine Genossen im Parlament wissen das nicht. Die wissen einfach nicht, daß Weiße Teil des Kampfes waren, und sie haben daran auch kein Interesse. Sie haben auch kein Interesse daran, daß Coloureds (Nachfahren aus Beziehungen zwischen weißen Siedlern, aus Asien entführten Sklaven und Einheimischen, jW) und Indischstämmige Teil des Kampfes waren. Das ist erstaunlich in einem Land, in dem die Verfassung gleiche Rechte für alle garantiert. Ein Kampf ist im Gange. Ich verstehe den Kampf. Ich verstehe das Streben nach Verbesserung von Lebensbedingungen, aber ich weiß auch, daß es dafür keinen Zauberstab gibt.

    In einer Talkrunde neulich sagte der Moderator: »Meine Mutter hat einen Stromanschluß bekommen, sie hat fließend Wasser, sie hatte das nie zuvor.« Das ist ein Mann, der Redakteur einer großen Zeitung war und jetzt ein angesehener Korrespondent und Moderator ist. »Was sagen Sie dazu«, fragte er seine Gäste. Und ein Kommentator, ein Akademiker, sagte: »Ja, aber das sind alte Geschichten, die Leute wollen neue Nachrichten.« Wenn Sie nach Sandton (Nobelstadtteil von Johannesburg, jW) fahren, beschweren sich die Leute über die ANC-Stadtregierung, weil es Schlaglöcher in ihren Straßen gibt. Aber wenn sie nach Soweto fahren, sagen die Leute: »Schau dir die Straßen an, die gebaut werden. Die hatten wir nie zuvor. Wir haben jetzt sogar Bürgersteige und Straßenlaternen.« Wen fragt man also, ob es Fortschritt gibt, oder nicht? Die Medien fragen die reichen Leute Sandtons.
    Aber schafft die Regierung nicht auch selbst Illusionen? Ich erinnere mich an die Bergbauministerin Susan Shabangu, die immer strikt gegen Verstaatlichungen war, aber völlig schockiert reagierte, daß ein Privatunternehmen wie Amplats Menschen entlassen und die Abmachung, die sie vorgeblich mit der Konzernführung hatte, brechen kann.

    Kann man das politische Naivität nennen?
    Ich weiß nicht, ob sie so naiv ist, oder ob sie nur so tut.

    Unser Land war naiv. Als wir die Apartheid besiegt hatten, die sich lange am Leben hielt, weil sie ihre Grenzen geschlossen hatte – Importkontrolle, Exportkontrolle, Devisenkontrolle, duale Wechselkurse und so weiter –, um die Apartheidwirtschaft zu schützen, haben die Banken, die Weltbank, der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Großmächte gesagt: »Öffnet eure Grenzen, und wir werden euch helfen, euch zu entwickeln.« Ja? Heißes Geld fließt rein und raus. Direkt­investitionen? Nur wenn es Superprofite gibt. Wie macht man Superprofite? Man behält die Arbeitsbeziehungen der Apartheid bei: Massen von schlechtbezahlten Arbeitern und hochbezahlte Anteilseigner und Spitzenmanager. Das ist die Realität dieser Welt. Ich kann das nicht über Nacht ändern.

    Wenn unsere Leute dazu bereit sind, dann können wir vielleicht von Sozialismus reden. In der Zwischenzeit bin ich wesentlich realistischer, ich habe eine Langzeitvision von dem, was mein Land sein könnte, und die teile ich mit vielen Leuten. Bis dahin will ich Fortschritt hin zu größerer Gleichheit sehen. Das bedeutet, daß die Gehälter schlechtbezahlter Arbeiter angehoben werden müssen und daß Regierungsminister, Generaldirektoren oder Staatssekretäre akzeptieren müssen, daß sie in den nächsten fünf Jahren keine Gehaltserhöhung bekommen werden. Und in der Zukunft wird sie winzig sein, damit wir diese Lücke schließen können und damit die Lebensbedingungen der ärmsten der Armen sich verbessern. Die Konsequenz wäre eine wirklich reiche Wirtschaft, denn arme Leute müssen alles ausgeben, was sie haben – für Kleidung, Essen, Schulbücher, Schuhe, Möbel oder den Ausbau ihrer Häuser. Ich habe viele Projekte kapitalistischer Natur auf dem Land gesehen wie beispielsweise bäuerliche Baumschulen. An einer Kreuzung entsteht plötzlich ein Dorf, mit Post, Banken, Geschäften – ein Zentrum, in dem das Leben viel besser läuft, weil die Leute ein wenig verdienen. Die Frage ist eine tief theoretische: An welchem Punkt in der Entwicklung einer Gesellschaft, die ihre eigene Geschichte und ihre eigenen Traditionen hat, kann Kapitalismus mit staatlicher Intervention und Lenkung – es ist keine Freihandelsökonomie – progressiv sein? Ich denke, das gibt es. Und für mich ist das im Moment die einzig realistische Option.
    Wenn Sie denken, daß die Forderung nach Verstaatlichungen unreif ist: Indonesien hat vor kurzem Exporte von Erzen verboten, Bauxit, Zinn und Kupfer sollen im Land weiterverarbeitet werden.

    Sehr gut!
    Könnte das ein Modell für Südafrika sein?

    Wir haben schon so lange über Aufbereitung gesprochen, die Weiterverarbeitung, daß unsere Arbeitskräfte die Qualität und den Wert unserer Rohmaterialien steigern müssen, bevor sie exportiert werden. Man würde von einem Land wie China erwarten, daß es zustimmt, veredeltes Eisenerz zu kaufen, vielleicht Gußeisen statt Eisenerz, weil das unserer Wirtschaft helfen würde und seiner. Ich würde das gerne sehen. Mauretanien – um über Südafrika hinauszuschauen –, hat die Sklaverei abgeschafft, aber ein Drittel der Bevölkerung sind immer noch Sklaven. Die großen internationalen Fangflotten fischen ihre Fische, China, Korea und andere eingeschlossen. Sie haben landwirtschaftliche Flächen mit großen Agrarunternehmen übernommen und die Bauern vom Land vertrieben. Wie können Genossen sich so benehmen? Von Internationalismus reden und gleichzeitig das Volk eines anderen Landes zerstören. Wir müssen noch viel mehr erreichen, wenn BRICS (ein loses Wirtschaftsbündnis, jW) – Brasilien, Rußland, Indien, China und Südafrika – ein effektives Entwicklungswerkzeug werden soll. Wir brauchen echte Zusammenarbeit, um sicherzustellen, daß die Schwächsten im Interesse der gesamten Gruppe mit den Stärksten gleichziehen. Was mich fasziniert ist die Möglichkeit, daß das passieren kann.
    Ist Südafrika mit seinen Mineralien nicht in einer starken Position? Das Land hat 80 Prozent der Platinreserven, ohne das kann man kein Auto bauen.

    Nur wenn sie es von uns kaufen. Nigerias Wirtschaft ist jetzt ungefähr so groß wie die Südafrikas. In den nächsten 20 Jahren wird sie ziemlich schnell wachsen, das gleiche in Ostafrika. Momentan führt die Hauptimportroute ins südliche Afrika durch Südafrika. Aber die mosambikanischen Häfen werden wachsen und die weiter nördlich ebenfalls. Letztlich wird Südafrika über den Preis konkurrieren müssen. Wir müssen unsere Kapazität zur Aufarbeitung aufbauen, um nicht Rohmaterial zu exportieren. Darüber haben wir geredet und geredet, und dann prallen wir gegen die Gesetze der Welthandelsorganisation. Wir mögen es nicht, gegen Gesetze zu handeln, wirklich nicht. Wir dachten, die Agrarsubventionen der USA, Großbritanniens und der EU würden große Themen werden, aber dann haben sie entschieden, daß es andere Probleme in der Dritten Welt gibt, darum kümmert sich keiner mehr. Weil es keine Konkurrenz von außen gibt, wie von der Sowjetunion, keine Kontrolle.

    Thabo Mbeki (Präsident Südafrikas von 1999 bis 2008, jW) hat gesagt, wir können nicht erwarten, daß die Industrieländer weiter für unsere Entwicklung bezahlen. Die afrikanischen Völker müssen selbst den Reichtum akkumulieren, die Infrastruktur schaffen, um das Leben der Menschen zu verbessern. Die Reichen werden uns nicht helfen. Sie investieren, aber sie ziehen Profite und Zinsen auf Kredite heraus und machen uns ärmer, nicht reicher. Wenn Sie zum Beispiel die Afrikanische Union (AU) nehmen: Die Hälfte ihres Budgets wird von den USA, Britannien, Frankreich und ich glaube auch Deutschland gestellt. Das bedeutet, daß die AU nicht unabhängig ist. Wenn sie Geld für ein Projekt ausgeben will, müssen die Geldgeber zustimmen. Das ist keine Unabhängigkeit, nicht im geringsten! Frankreich geht nach Mali, organisiert eine Konferenz und sagt der AU, daß sie teilnehmen muß. Die fragen nicht.

    Es wird hart werden, und unsere Leute werden Opfer bringen müssen, um die Bedingungen für zukünftige Generationen zu schaffen. Arbeiter und Bauern zahlen den Preis der Entwicklung. Die Frage ist: Was passiert mit dem generierten Reichtum? Ich kann mich nicht damit anfreunden, arbeitende Menschen in Südafrika von der Idee zu überzeugen, Opfer zu bringen, Löhne nicht zu schnell anzuheben, wenn Unternehmen daraus einfach immer größere Profite ziehen und nicht der gesamten Gesellschaft nutzen.

    Teil der Abmachung nach den Verhandlungen von 1990 bis 1994 war auch, daß die Großkonzerne sich an der Transformation beteiligen. Das haben sie nicht getan! Und um noch einmal auf Ihre Frage über Mandelas Tod zurückzukommen: Die Geisteshaltung ist: »Danke Madiba, du hast alles für uns getan, wir müssen nichts mehr machen.« Das ist die Tragödie.
    Aber ist es überhaupt möglich, daß die Überschüsse der Gesellschaft nutzen, wenn man sich an die Regeln und Gesetze der globalen Finanzinstitutionen hält?

    Meine Antwort ist nein. Und wir müssen dort, wo wir es können, mutig genug sein zu widersprechen. Das Problem ist: Wenn uns die Bestellungen von Rohmaterialien ausgehen, werden die, die investiert haben, ihr Geld abziehen. Diejenigen, die mit dem jetzigen System reich werden, werden gegen das System opponieren. Es geht nicht nur um Anweisungen der Regierung. Es bedarf der Unterstützung großer Bevölkerungsteile. Wie man die bekommt: argumentieren, überzeugen, Langzeitziele gegen kurzfristige Interessen stellen, durch die Macht des Volkes, durch populäre Proteste. Die Bedeutung von Nelson Mandelas Generation von Anführern lag darin, Leute mobilisieren zu können, ihre Unterstützung zu gewinnen. Das hat uns unsere Freiheit gebracht, und das ist es auch, was uns wirtschaftlichen Fortschritt bringen wird.

    Es ist schwer, das in ein paar Worten zu sagen, Sie müssen mir vergeben. Aber ich will noch mal unterstreichen: Ich sehe keine sozialistische Revolution um die Ecke kommen. Die massiven Kräfte dagegen, innerhalb Südafrikas und weltweit, würden sie momentan sehr, sehr schwer machen. Das heißt nicht, daß es nie passieren kann. Aber ich wußte vom ersten Anfang an, daß es Generationen dauern würde, die Trennungen zwischen den Völkern unseres Landes zu überwinden. Generationen. Und das ist optimistisch. Danke für das Interview.
    jw


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