Geschäft mit der Not
Der private Flüchtlingsheimbetreiber Gierso scheiterte in Berlin vorerst mit dem Versuch, Kritik gerichtlich zu unterbinden
Von Roland Zschächner
Mit einem solchen Andrang hatte Martin Müller-Follert, seines Zeichens Richter am Berliner Landgericht, am vergangenen Mittwoch nicht gerechnet. Über 60 Zuschauer wollten zur Verhandlung über den Eilantrag der Gierso Boardinghouse GmbH gegen den Flüchtlingsrat Berlin und dessen Vertreter Georg Classen. Per einstweiliger Verfügung sollte ihnen untersagt werden, Kritik an den Mißständen in Flüchtlingsheimen zu wiederholen. Die fraglichen Äußerungen waren auf der Veranstaltung »Welcome to Berlin?!« der Heinrich-Böll-Stiftung am 2. November 2013 gefallen.
Laut Classen war es das erste Mal in der 32jährigen Geschichte des Flüchtlingsrats, daß er für Kritik an den Verhältnissen, denen Asylsuchende in der BRD ausgesetzt sind, zivilrechtlich belangt werden sollte. Nach eineinhalbstündiger Verhandlung wurde der Antrag zurückgewiesen, die schriftliche Begründung steht noch aus.
Gierso konkurriert als private Betreiberin auf dem Markt der Unterbringung für Asylbewerber mit anderen Firmen sowie Wohlfahrtsverbänden um staatliche Gelder. Die GmbH betreibt in Berlin vier Notunterkünfte. Für die 700 Bewohner erhält sie pro Kopf Tagessätze zwischen 17 und 23,26 Euro. Die Standards für die Ausstattung von Notunterkünften sind geringer als in Sammelunterkünften oder bei der Unterbringung in Wohnungen. Die damit erzielbaren Profite sind so bei geringem personellen und materiellen Aufwand größer – auch weil es in Berlin kaum Kontrollen gibt. An den Personalkosten kann daher gespart werden. Classen und der Flüchtlingsrat kritisieren diese Praxis der Heimbetreiber seit längerem. In diesem Zusammenhang soll auch die Behauptung untersagt werden, Gierso-Mitarbeiter
würden »geklont« und mehrere aus Landesmitteln bezahlte Stellen von den gleichen Personen besetzt. Vollkommen abwegig erscheint dies nicht: Selbst das zuständige Landesamt für Gesundheit und Soziales geht laut Antwort des Senats auf eine Anfrage der Piraten-Fraktion von einer »Personalidentität« aus.
Eine weitere Aussage, die der Heimbetreiber Classen verbieten will: Es habe kein warmes Wasser zum Duschen gegeben, was laut Geschäftsführung auch nicht nötig sei, da die vorwiegend in dem Heim wohnenden Roma ohnehin nicht duschen würden. Dritter Punkt war der Satz: »In den Heimen gibt es viel Ungeziefer«.
Der Vorsitzende Richter schlug den Konfliktparteien eine gütliche Einigung vor, die allerdings die Unterzeichnung der Unterlassungserklärung beinhaltet hätte. Classen lehnte dies ab: So werde ein Präzedenzfall geschaffen, mit dem jegliche Kritik mundtot gemacht werden könne. Nach der Verhandlung schloß die Gierso-Geschäftsführung, vertreten durch Tobias Dohmen und Wilhelm Pleß, Rechtsmittel nicht aus, falls der Antrag – wie nun entschieden – zurückgewiesen werde. Es gehe um den guten Ruf der Firma, die ihre Aufgaben besser erfülle als gefordert. Eine Aussage, die Gelächter im Publikum hervorrief.
In der Konkurrenz um die Zuteilung von Unterbringungsplätzen kann sich Gierso kein schlechtes Image leisten. Durch die Protestaktionen der vergangenen Monate ist die Situation der Flüchtlinge in der Stadt zum Politikum geworden. Das mußte auch Richter Müller-Follert einsehen: Es sei verwunderlich, wie Flüchtlinge in einem so reichen Land untergebracht werden würden.
jw
Der private Flüchtlingsheimbetreiber Gierso scheiterte in Berlin vorerst mit dem Versuch, Kritik gerichtlich zu unterbinden
Von Roland Zschächner
Mit einem solchen Andrang hatte Martin Müller-Follert, seines Zeichens Richter am Berliner Landgericht, am vergangenen Mittwoch nicht gerechnet. Über 60 Zuschauer wollten zur Verhandlung über den Eilantrag der Gierso Boardinghouse GmbH gegen den Flüchtlingsrat Berlin und dessen Vertreter Georg Classen. Per einstweiliger Verfügung sollte ihnen untersagt werden, Kritik an den Mißständen in Flüchtlingsheimen zu wiederholen. Die fraglichen Äußerungen waren auf der Veranstaltung »Welcome to Berlin?!« der Heinrich-Böll-Stiftung am 2. November 2013 gefallen.
Laut Classen war es das erste Mal in der 32jährigen Geschichte des Flüchtlingsrats, daß er für Kritik an den Verhältnissen, denen Asylsuchende in der BRD ausgesetzt sind, zivilrechtlich belangt werden sollte. Nach eineinhalbstündiger Verhandlung wurde der Antrag zurückgewiesen, die schriftliche Begründung steht noch aus.
Gierso konkurriert als private Betreiberin auf dem Markt der Unterbringung für Asylbewerber mit anderen Firmen sowie Wohlfahrtsverbänden um staatliche Gelder. Die GmbH betreibt in Berlin vier Notunterkünfte. Für die 700 Bewohner erhält sie pro Kopf Tagessätze zwischen 17 und 23,26 Euro. Die Standards für die Ausstattung von Notunterkünften sind geringer als in Sammelunterkünften oder bei der Unterbringung in Wohnungen. Die damit erzielbaren Profite sind so bei geringem personellen und materiellen Aufwand größer – auch weil es in Berlin kaum Kontrollen gibt. An den Personalkosten kann daher gespart werden. Classen und der Flüchtlingsrat kritisieren diese Praxis der Heimbetreiber seit längerem. In diesem Zusammenhang soll auch die Behauptung untersagt werden, Gierso-Mitarbeiter
würden »geklont« und mehrere aus Landesmitteln bezahlte Stellen von den gleichen Personen besetzt. Vollkommen abwegig erscheint dies nicht: Selbst das zuständige Landesamt für Gesundheit und Soziales geht laut Antwort des Senats auf eine Anfrage der Piraten-Fraktion von einer »Personalidentität« aus.
Eine weitere Aussage, die der Heimbetreiber Classen verbieten will: Es habe kein warmes Wasser zum Duschen gegeben, was laut Geschäftsführung auch nicht nötig sei, da die vorwiegend in dem Heim wohnenden Roma ohnehin nicht duschen würden. Dritter Punkt war der Satz: »In den Heimen gibt es viel Ungeziefer«.
Der Vorsitzende Richter schlug den Konfliktparteien eine gütliche Einigung vor, die allerdings die Unterzeichnung der Unterlassungserklärung beinhaltet hätte. Classen lehnte dies ab: So werde ein Präzedenzfall geschaffen, mit dem jegliche Kritik mundtot gemacht werden könne. Nach der Verhandlung schloß die Gierso-Geschäftsführung, vertreten durch Tobias Dohmen und Wilhelm Pleß, Rechtsmittel nicht aus, falls der Antrag – wie nun entschieden – zurückgewiesen werde. Es gehe um den guten Ruf der Firma, die ihre Aufgaben besser erfülle als gefordert. Eine Aussage, die Gelächter im Publikum hervorrief.
In der Konkurrenz um die Zuteilung von Unterbringungsplätzen kann sich Gierso kein schlechtes Image leisten. Durch die Protestaktionen der vergangenen Monate ist die Situation der Flüchtlinge in der Stadt zum Politikum geworden. Das mußte auch Richter Müller-Follert einsehen: Es sei verwunderlich, wie Flüchtlinge in einem so reichen Land untergebracht werden würden.
jw