Vertrauensperson 598
Für den Berliner Innensenator »keine V-Mann-Affäre«: Neonazi Nick Greger wurde 2001 von der Polizei angeworben – nach Anschlagsplänen mit einer Geheimdienstquelle
Von Claudia Wangerin
Das Sittengemälde von den »Vertrauenspersonen« bundesdeutscher Sicherheitsbehörden ist wieder um einen Pinselstrich reicher. Nicht jeder Rechtsextremist habe einen Bezug zum »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) – das hat Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) am Montag betont. Gemeint war der ehemalige V-Mann des Berliner Landeskriminalamts, Nick Greger, mit dem sich der Innenausschuß des Abgeordnetenhauses erneut beschäftigte – obwohl es aus Henkels Sicht »keine V-Mann-Affäre« gibt. Die Opposition dagegen versteht nicht, wie der Innensenator einen NSU-Bezug ausschließen kann – und warum die »V-Person 598« dem Untersuchungsausschuß des Bundestags zum Neonaziterror verschwiegen wurde.
Greger war nach neuester Darstellung des LKA von 2001 bis 2003 dessen V-Mann – das wollten Henkel und die Behörde zunächst weder bestätigen noch dementieren, Polizeipräsident Klaus Kandt bestätigte es jedoch Ende Januar im Innenausschuß. Greger sei 2003 aber wegen Unzuverlässigkeit »abgeschaltet« worden.
Greger selbst hatte die Frage aufgeworfen, indem er in einem Internetvideo und einem Zeitschrifteninterview erklärt hatte, zwei Beamte des Berliner LKA hätten ihn Ende Oktober in Thüringen aufgesucht, um ihn von Aussagen über einen alten Bekannten namens Carsten Szczepanski im sächsischen NSU-Untersuchungsausschuß abzuhalten. Laut Polizeipräsident Kandt ging es bei diesem Besuch lediglich um »Sensibilisierung«.
Greger war im Jahr 2000 wegen gemeinsamer Anschlagsvorbereitungen mit Szczepanski zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Szczepanski alias »Piato« war wiederum V-Mann des Brandenburger Verfassungsschutzes. Nach der Aufdeckung des NSU im November 2011 tauchte er allerdings auch auf einer Liste der Sicherheitsbehörden als einer von 129 möglichen Unterstützern der Terrorgruppe auf.
Doch daß Henkel vor diesem Hintergrund einen NSU-Bezug Gregers ausschließt, ist nicht der einzige Punkt, der im Innenausschuß auf Unverständnis stieß. Durfte Nick Greger unter den damaligen Voraussetzungen überhaupt als V-Person geworben werden? Wäre es unter den heutigen Voraussetzungen zulässig, ihn als V-Person zu werben? Auch dies wollte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in einem umfangreichen Fragenkatalog an Henkel wissen. Die Antwort lautete: Unter Berücksichtigung der formellen Vorschriften – ja. Auch eine Verurteilung wegen schwerer Straftaten sei formell kein grundsätzliches Ausschlußkriterium, erfuhr die Opposition. Daß jemand – wie damals Greger und Szczepanski – unter Verdacht steht, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein, ebenfalls nicht. »Angaben zur Glaubwürdigkeit der ehemaligen VP 598 sind den Akten nicht zu entnehmen«, war die Antwort auf eine weitere Frage zu Greger.
Die Grünen-Abgeordnete Clara Herrmann sieht weitere Anhaltspunkte für einen NSU-Bezug darin, daß Greger sich – wie das mutmaßliche NSU-Kerntrio während seiner Radikalisierung – im Umfeld des Blood&Honour-Netzwerks bewegt und Kontakt zu Neonazis in Südafrika hatte, wo auch Jugendfreunde des NSU-Trios bei dem rechtsextremen Publizisten Claus Nordbruch ein- und ausgingen.
Nicht auf alle 65 Fragen der Grünen wurde am Montag in öffentlicher Sitzung geantwortet. Statt dessen beklagte Henkel, die Polizei habe für die Beantwortung 600 Arbeitsstunden aufbringen müssen. Der Piraten-Abgeordnete Christopher Lauer machte sich darüber auf die gewohnt ironische Art lustig: Die Polizei könne ja durch Appelle im Rundfunk auch sämtlichen Kriminellen zu bedenken geben, wieviel Zeit ihre Aktivitäten die Polizei kosteten. In ernsthafterem Ton befand Lauer mit Blick auf das Berliner Parlament: »Ein Kernproblem ist, daß wir keinen NSU-Untersuchungsausschuß haben.« Wenn es einen solchen gäbe, sei wenigstens klar, »was die Konsequenzen sind, wenn irgendjemand Quatsch erzählt«, sagte Lauer mit Blick auf mögliche Falschaussagen von Amtsträgern.
jw
Für den Berliner Innensenator »keine V-Mann-Affäre«: Neonazi Nick Greger wurde 2001 von der Polizei angeworben – nach Anschlagsplänen mit einer Geheimdienstquelle
Von Claudia Wangerin
Das Sittengemälde von den »Vertrauenspersonen« bundesdeutscher Sicherheitsbehörden ist wieder um einen Pinselstrich reicher. Nicht jeder Rechtsextremist habe einen Bezug zum »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) – das hat Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) am Montag betont. Gemeint war der ehemalige V-Mann des Berliner Landeskriminalamts, Nick Greger, mit dem sich der Innenausschuß des Abgeordnetenhauses erneut beschäftigte – obwohl es aus Henkels Sicht »keine V-Mann-Affäre« gibt. Die Opposition dagegen versteht nicht, wie der Innensenator einen NSU-Bezug ausschließen kann – und warum die »V-Person 598« dem Untersuchungsausschuß des Bundestags zum Neonaziterror verschwiegen wurde.
Greger war nach neuester Darstellung des LKA von 2001 bis 2003 dessen V-Mann – das wollten Henkel und die Behörde zunächst weder bestätigen noch dementieren, Polizeipräsident Klaus Kandt bestätigte es jedoch Ende Januar im Innenausschuß. Greger sei 2003 aber wegen Unzuverlässigkeit »abgeschaltet« worden.
Greger selbst hatte die Frage aufgeworfen, indem er in einem Internetvideo und einem Zeitschrifteninterview erklärt hatte, zwei Beamte des Berliner LKA hätten ihn Ende Oktober in Thüringen aufgesucht, um ihn von Aussagen über einen alten Bekannten namens Carsten Szczepanski im sächsischen NSU-Untersuchungsausschuß abzuhalten. Laut Polizeipräsident Kandt ging es bei diesem Besuch lediglich um »Sensibilisierung«.
Greger war im Jahr 2000 wegen gemeinsamer Anschlagsvorbereitungen mit Szczepanski zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Szczepanski alias »Piato« war wiederum V-Mann des Brandenburger Verfassungsschutzes. Nach der Aufdeckung des NSU im November 2011 tauchte er allerdings auch auf einer Liste der Sicherheitsbehörden als einer von 129 möglichen Unterstützern der Terrorgruppe auf.
Doch daß Henkel vor diesem Hintergrund einen NSU-Bezug Gregers ausschließt, ist nicht der einzige Punkt, der im Innenausschuß auf Unverständnis stieß. Durfte Nick Greger unter den damaligen Voraussetzungen überhaupt als V-Person geworben werden? Wäre es unter den heutigen Voraussetzungen zulässig, ihn als V-Person zu werben? Auch dies wollte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in einem umfangreichen Fragenkatalog an Henkel wissen. Die Antwort lautete: Unter Berücksichtigung der formellen Vorschriften – ja. Auch eine Verurteilung wegen schwerer Straftaten sei formell kein grundsätzliches Ausschlußkriterium, erfuhr die Opposition. Daß jemand – wie damals Greger und Szczepanski – unter Verdacht steht, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein, ebenfalls nicht. »Angaben zur Glaubwürdigkeit der ehemaligen VP 598 sind den Akten nicht zu entnehmen«, war die Antwort auf eine weitere Frage zu Greger.
Die Grünen-Abgeordnete Clara Herrmann sieht weitere Anhaltspunkte für einen NSU-Bezug darin, daß Greger sich – wie das mutmaßliche NSU-Kerntrio während seiner Radikalisierung – im Umfeld des Blood&Honour-Netzwerks bewegt und Kontakt zu Neonazis in Südafrika hatte, wo auch Jugendfreunde des NSU-Trios bei dem rechtsextremen Publizisten Claus Nordbruch ein- und ausgingen.
Nicht auf alle 65 Fragen der Grünen wurde am Montag in öffentlicher Sitzung geantwortet. Statt dessen beklagte Henkel, die Polizei habe für die Beantwortung 600 Arbeitsstunden aufbringen müssen. Der Piraten-Abgeordnete Christopher Lauer machte sich darüber auf die gewohnt ironische Art lustig: Die Polizei könne ja durch Appelle im Rundfunk auch sämtlichen Kriminellen zu bedenken geben, wieviel Zeit ihre Aktivitäten die Polizei kosteten. In ernsthafterem Ton befand Lauer mit Blick auf das Berliner Parlament: »Ein Kernproblem ist, daß wir keinen NSU-Untersuchungsausschuß haben.« Wenn es einen solchen gäbe, sei wenigstens klar, »was die Konsequenzen sind, wenn irgendjemand Quatsch erzählt«, sagte Lauer mit Blick auf mögliche Falschaussagen von Amtsträgern.
jw