»Die Lage spitzt sich leider immer mehr zu«
Kommunen hätten sich durchaus auf einen Anstieg der Flüchtlingszahlen vorbereiten können. Gespräch mit Madeleine Henfling
Interview: John Lütten
Madeleine Henfling ist Vorstandsmitglied im Flüchtlingsrat Thüringen e.V.
Vielerorts werden zusätzliche Flüchtlingsheime eingerichtet oder sogar neu gebaut, biedere Bürger und Neofaschisten demonstrieren dagegen. Wie ist die Lage der Flüchtlinge in Thüringen?
Zur Zeit sind in unserem Bundesland rund 3000 Asylbewerber untergebracht. Zahlen des Landesverwaltungsamtes zufolge waren es vergangenes Jahr 3084, im Jahr zuvor aber nur 1764 Personen. Die meisten kommen aus der Russischen Föderation, viele aber auch aus Syrien oder Afghanistan. Etliche Flüchtlinge von der Balkanhalbinsel sind wahrscheinlich Roma.
In vielen Städten werden sie in Gemeinschaftsunterkünften zentral untergebracht, einige wohnen auch dezentral oder in einer Art Zwischenform, in Wohnblocks. Die viel zu wenigen Sozialarbeiter sind überfordert.
Die Lage spitzt sich leider immer weiter zu: Die Lager sind überfüllt und es gibt viele Probleme mit den Behörden. Die Flüchtlinge berichten immer wieder von Diskriminierungen und Pöbeleien auf der Straße, wir erleben regelmäßig auch Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte. Was uns Sorge bereitet, ist die zunehmend auf Nützlichkeit orientierte Asyldebatte, die Flüchtlinge in »gute« und »schlechte« einteilt. Die Orientierung an Menschenrechten rückt immer weiter in den Hintergrund.
Reicht die Entschuldigung der Kommunen aus, ihnen fehle das Geld für die vielen Flüchtlinge?
Ich würde eher sagen, daß ihnen die Konzepte fehlen und sie das Thema viel zu lange vor sich hergeschoben haben. Die Kommunen bekommen pro aufgenommenem Asylbewerber eine Pauschale für Unterbringung etc. – da liegt also nicht das Problem. Daß zu wenig Mittel für die Betreuung bereit stehen, stimmt allerdings. Lange Zeit dachten die Verantwortlichen aber nicht daran, daß die Flüchtlingszahlen wieder zulegen könnten. Der Anstieg kam aber nun auch nicht so überraschend, daß man sich nicht darauf hätte vorbereiten können.
Vor allem die NPD und andere Faschisten mobilisieren gegen Flüchtlinge. Wie schätzen Sie das Mobilisierungspotential neofaschistischer und rechtspopulistischer Gruppen ein?
Die Proteste gegen das Flüchtlingsheim in Greiz im Herbst vergangenen Jahres haben gezeigt, daß organisierte Neonazis nicht unbedingt ein stabiles Mobilisierungspotential haben – was nicht heißt, daß es in Thüringen nicht weitverbreitete und anschlußfähige rassistische Einstellungen gäbe. Sie können ihre eigene Klientel auf die Straße bringen – andere Bürger sind jedoch schnell wieder weg, was sicher auch mit dem aggressiven Auftreten verschiedener Neonazis zu tun hat. Und natürlich mit antifaschistischen Gegenprotesten.
Wichtig bei der Mobilisierung der Neonazis war neben dem Bedienen rassistischer Einstellungen eine Anti-Establishment-Haltung, sie haben sich aber auch die verbreitete Einteilung in »gute« und »schlechte« Flüchtlinge zunutze gemacht. Es ist hier nicht mehr so wie in den 90er Jahren, wir haben andere politische Bedingungen. Das macht aber die Hetze gegen Flüchtlinge auch durch Politiker und Medien natürlich nicht besser.
In Thüringen hat die »Alternative für Deutschland« (AfD) durchaus Potential, weil sie chauvinistische Reflexe nicht so plump anspricht wie die NPD und eher als normale Partei wahrgenommen wird. Ob sie damit aber zur wahrnehmbaren Kraft wird, muß sich zeigen – teilweise erfüllt diese Funktion ja noch immer die CDU.
Gibt es in der thüringischen Öffentlichkeit eine Diskussion darüber, ob nicht der Mordserie des »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU) ähnliche Motive zugrunde liegen wie der rassistischen Stimmungsmache gegen Flüchtlinge?
Es gibt bei uns keine gesellschaftliche Debatte darüber, welche Konsequenz die NSU-Mordserie für den Umgang mit Flüchtlingen oder Migranten haben müßte. Sicher, auch die CDU geht nun gegen organisierte Neonazis auf die Straße. Aber die ideologischen und gesellschaftlichen Bedingungen für die Entstehung des NSU sind nicht ausdiskutiert worden. Die Haltung ist eher: Man muß nur den Verfassungsschutz reformieren und die Kommunikation zwischen den Sicherheitsbehörden verbessern, dann ist alles okay. Auch Teile der SPD sehen das so. Solange die Flüchtlings- und Migrationspolitik aber medial und politisch nach dem Schema »Wir und die« verhandelt wird, wird sich an der Situation wenig ändern.
jw
Kommunen hätten sich durchaus auf einen Anstieg der Flüchtlingszahlen vorbereiten können. Gespräch mit Madeleine Henfling
Interview: John Lütten
Madeleine Henfling ist Vorstandsmitglied im Flüchtlingsrat Thüringen e.V.
Vielerorts werden zusätzliche Flüchtlingsheime eingerichtet oder sogar neu gebaut, biedere Bürger und Neofaschisten demonstrieren dagegen. Wie ist die Lage der Flüchtlinge in Thüringen?
Zur Zeit sind in unserem Bundesland rund 3000 Asylbewerber untergebracht. Zahlen des Landesverwaltungsamtes zufolge waren es vergangenes Jahr 3084, im Jahr zuvor aber nur 1764 Personen. Die meisten kommen aus der Russischen Föderation, viele aber auch aus Syrien oder Afghanistan. Etliche Flüchtlinge von der Balkanhalbinsel sind wahrscheinlich Roma.
In vielen Städten werden sie in Gemeinschaftsunterkünften zentral untergebracht, einige wohnen auch dezentral oder in einer Art Zwischenform, in Wohnblocks. Die viel zu wenigen Sozialarbeiter sind überfordert.
Die Lage spitzt sich leider immer weiter zu: Die Lager sind überfüllt und es gibt viele Probleme mit den Behörden. Die Flüchtlinge berichten immer wieder von Diskriminierungen und Pöbeleien auf der Straße, wir erleben regelmäßig auch Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte. Was uns Sorge bereitet, ist die zunehmend auf Nützlichkeit orientierte Asyldebatte, die Flüchtlinge in »gute« und »schlechte« einteilt. Die Orientierung an Menschenrechten rückt immer weiter in den Hintergrund.
Reicht die Entschuldigung der Kommunen aus, ihnen fehle das Geld für die vielen Flüchtlinge?
Ich würde eher sagen, daß ihnen die Konzepte fehlen und sie das Thema viel zu lange vor sich hergeschoben haben. Die Kommunen bekommen pro aufgenommenem Asylbewerber eine Pauschale für Unterbringung etc. – da liegt also nicht das Problem. Daß zu wenig Mittel für die Betreuung bereit stehen, stimmt allerdings. Lange Zeit dachten die Verantwortlichen aber nicht daran, daß die Flüchtlingszahlen wieder zulegen könnten. Der Anstieg kam aber nun auch nicht so überraschend, daß man sich nicht darauf hätte vorbereiten können.
Vor allem die NPD und andere Faschisten mobilisieren gegen Flüchtlinge. Wie schätzen Sie das Mobilisierungspotential neofaschistischer und rechtspopulistischer Gruppen ein?
Die Proteste gegen das Flüchtlingsheim in Greiz im Herbst vergangenen Jahres haben gezeigt, daß organisierte Neonazis nicht unbedingt ein stabiles Mobilisierungspotential haben – was nicht heißt, daß es in Thüringen nicht weitverbreitete und anschlußfähige rassistische Einstellungen gäbe. Sie können ihre eigene Klientel auf die Straße bringen – andere Bürger sind jedoch schnell wieder weg, was sicher auch mit dem aggressiven Auftreten verschiedener Neonazis zu tun hat. Und natürlich mit antifaschistischen Gegenprotesten.
Wichtig bei der Mobilisierung der Neonazis war neben dem Bedienen rassistischer Einstellungen eine Anti-Establishment-Haltung, sie haben sich aber auch die verbreitete Einteilung in »gute« und »schlechte« Flüchtlinge zunutze gemacht. Es ist hier nicht mehr so wie in den 90er Jahren, wir haben andere politische Bedingungen. Das macht aber die Hetze gegen Flüchtlinge auch durch Politiker und Medien natürlich nicht besser.
In Thüringen hat die »Alternative für Deutschland« (AfD) durchaus Potential, weil sie chauvinistische Reflexe nicht so plump anspricht wie die NPD und eher als normale Partei wahrgenommen wird. Ob sie damit aber zur wahrnehmbaren Kraft wird, muß sich zeigen – teilweise erfüllt diese Funktion ja noch immer die CDU.
Gibt es in der thüringischen Öffentlichkeit eine Diskussion darüber, ob nicht der Mordserie des »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU) ähnliche Motive zugrunde liegen wie der rassistischen Stimmungsmache gegen Flüchtlinge?
Es gibt bei uns keine gesellschaftliche Debatte darüber, welche Konsequenz die NSU-Mordserie für den Umgang mit Flüchtlingen oder Migranten haben müßte. Sicher, auch die CDU geht nun gegen organisierte Neonazis auf die Straße. Aber die ideologischen und gesellschaftlichen Bedingungen für die Entstehung des NSU sind nicht ausdiskutiert worden. Die Haltung ist eher: Man muß nur den Verfassungsschutz reformieren und die Kommunikation zwischen den Sicherheitsbehörden verbessern, dann ist alles okay. Auch Teile der SPD sehen das so. Solange die Flüchtlings- und Migrationspolitik aber medial und politisch nach dem Schema »Wir und die« verhandelt wird, wird sich an der Situation wenig ändern.
jw