Grundgesetzwidrig
Geheimdienst macht vor Anwälten und Journalisten nicht Halt: Zur Bespitzelung reichen »Bezüge« mutmaßlich extremistischer Art. Harsche Kritik von ver.di und Linksfraktion
Von Markus Bernhardt
Nicht erst seit den Enthüllungen über das neofaschistische Terrornetzwerk »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) und V-Leute in seinem engsten Umfeld sowie Aktenvernichtungen zur Unzeit hat der Ruf der bundesdeutschen Geheimdienste in der Öffentlichkeit gelitten. Dies betrifft vor allem das in Köln ansässige Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Um sich über den »Reformprozeß« informieren zu lassen, der infolge des NSU-Skandals eingeleitet worden war, stattete Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) dem Geheimdienst am Dienstag einen Besuch ab und traf BfV-Präsident Hans-Georg Maaßen.
»Die Diskussionen über die Arbeit des Verfassungsschutzes haben zu umfangreichen Reformüberlegungen beigetragen«, konstatierte Maaßen nach diesem Ministerbesuch und stellte fest, daß man »die Ausrichtung und die Arbeitsweise des BfV« in den letzten eineinhalb Jahren modernisiert habe. Auch de Maizière beließ es am Dienstag bei derlei Allgemeinplätzen und betonte, der Verfassungsschutz leiste »einen wesentlichen Beitrag« für die öffentliche Sicherheit, »indem er frühzeitig auf Regionalisierungstendenzen« hinweise.
Bemerkenswert ist vor diesem Hintergrund, daß inzwischen keineswegs mehr ausgeschlossen werden kann, daß der Verfassungsschutz zunehmend auch Berufsgruppen ins Visier nimmt, die – wie etwa Journalisten, Mediziner und Rechtsanwälte – unter besonderem Schutz stehen.
Tief blicken läßt die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Martina Renner (Die Linke). Darin wollte Renner Mitte Januar wissen, inwiefern auch Journalisten durch den Geheimdienst beobachtet würden. Zwar stellte das Bundesinnenministerium in seiner Antwort klar, daß weder das BfV noch der Bundesnachrichtendienst (BND) »Personen gezielt wegen ihrer beruflichen Tätigkeit als Journalist« erfasse. Jedoch würden sie »im BfV und BND erfaßt, wenn sie in Erfüllung des jeweiligen gesetzlichen Auftrags«, also »aufgrund extremistischer, terroristischer oder nachrichtendienstlicher Bezüge beobachtungswürdig« seien. Bei der Linken-Politikerin Renner stieß die Haltung der Behörden erwartungsgemäß auf Unverständnis. »Die Antwort der Bundesregierung macht deutlich, daß die Geheimdienste – auch die des Bundes – praktisch jedermann unter einem pauschal formulierten Extremismusverdacht bespitzeln können«, kritisierte sie gegenüber der Berliner Zeitung (Dienstagsausgabe).
Daß Journalistinnen und Journalisten tatsächlich schnell ins Visier der staatlichen Schnüffelbehörden geraten können, belegt die vor einigen Wochen bekannt gewordene Überwachung der Journalistin Andrea Röpke, die als Expertin in Sachen Neofaschismus gilt und durch den niedersächsischen Verfassungsschutz ausspioniert wurde (jW berichtete).
Kritik löste die Antwort des Bundesinnenministeriums auf die kleine Anfrage auch bei Berufsverbänden von Medienschaffenden aus. »Die geheimdienstliche Ausspähung von Journalisten ist ein eklatanter Verstoß gegen die grundgesetzlich verankerte Pressefreiheit«, kritisierte Andreas Köhn, Fachbereichsleiter Medien der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Berlin-Brandenburg, am Mittwoch auf Anfrage dieser Zeitung. Informantenschutz und Redaktionsgeheimnisse seien wesentliche Grundpfeiler der Pressefreiheit in Deutschland, stellte Köhn klar. »Lächerlich wird es außerdem dann, wenn einerseits behauptet wird, daß man keine berufsbezogene Erfassung und Bespitzelung vorgenommen hätte, aber andererseits argumentiert, es gäbe keine Abgrenzung zwischen Journalisten und Publizisten«, kritisierte der Gewerkschafter weiter. Eben dies hatte das Innenministerium in seiner Antwort behauptet.
Publizisten seien »bekanntermaßen Journalisten und Schriftsteller, die zur öffentlichen Meinungsbildung beitragen und damit denn geschützten grundgesetzlichen Auftrag im demokratischen Gemeinwesen erfüllen«, so Köhn im Gespräch mit jW. Er sieht einen weiteren »Tiefpunkt des Abschieds von demokratischen Grundrechten in Deutschland«
jw
Geheimdienst macht vor Anwälten und Journalisten nicht Halt: Zur Bespitzelung reichen »Bezüge« mutmaßlich extremistischer Art. Harsche Kritik von ver.di und Linksfraktion
Von Markus Bernhardt
Nicht erst seit den Enthüllungen über das neofaschistische Terrornetzwerk »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) und V-Leute in seinem engsten Umfeld sowie Aktenvernichtungen zur Unzeit hat der Ruf der bundesdeutschen Geheimdienste in der Öffentlichkeit gelitten. Dies betrifft vor allem das in Köln ansässige Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Um sich über den »Reformprozeß« informieren zu lassen, der infolge des NSU-Skandals eingeleitet worden war, stattete Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) dem Geheimdienst am Dienstag einen Besuch ab und traf BfV-Präsident Hans-Georg Maaßen.
»Die Diskussionen über die Arbeit des Verfassungsschutzes haben zu umfangreichen Reformüberlegungen beigetragen«, konstatierte Maaßen nach diesem Ministerbesuch und stellte fest, daß man »die Ausrichtung und die Arbeitsweise des BfV« in den letzten eineinhalb Jahren modernisiert habe. Auch de Maizière beließ es am Dienstag bei derlei Allgemeinplätzen und betonte, der Verfassungsschutz leiste »einen wesentlichen Beitrag« für die öffentliche Sicherheit, »indem er frühzeitig auf Regionalisierungstendenzen« hinweise.
Bemerkenswert ist vor diesem Hintergrund, daß inzwischen keineswegs mehr ausgeschlossen werden kann, daß der Verfassungsschutz zunehmend auch Berufsgruppen ins Visier nimmt, die – wie etwa Journalisten, Mediziner und Rechtsanwälte – unter besonderem Schutz stehen.
Tief blicken läßt die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Martina Renner (Die Linke). Darin wollte Renner Mitte Januar wissen, inwiefern auch Journalisten durch den Geheimdienst beobachtet würden. Zwar stellte das Bundesinnenministerium in seiner Antwort klar, daß weder das BfV noch der Bundesnachrichtendienst (BND) »Personen gezielt wegen ihrer beruflichen Tätigkeit als Journalist« erfasse. Jedoch würden sie »im BfV und BND erfaßt, wenn sie in Erfüllung des jeweiligen gesetzlichen Auftrags«, also »aufgrund extremistischer, terroristischer oder nachrichtendienstlicher Bezüge beobachtungswürdig« seien. Bei der Linken-Politikerin Renner stieß die Haltung der Behörden erwartungsgemäß auf Unverständnis. »Die Antwort der Bundesregierung macht deutlich, daß die Geheimdienste – auch die des Bundes – praktisch jedermann unter einem pauschal formulierten Extremismusverdacht bespitzeln können«, kritisierte sie gegenüber der Berliner Zeitung (Dienstagsausgabe).
Daß Journalistinnen und Journalisten tatsächlich schnell ins Visier der staatlichen Schnüffelbehörden geraten können, belegt die vor einigen Wochen bekannt gewordene Überwachung der Journalistin Andrea Röpke, die als Expertin in Sachen Neofaschismus gilt und durch den niedersächsischen Verfassungsschutz ausspioniert wurde (jW berichtete).
Kritik löste die Antwort des Bundesinnenministeriums auf die kleine Anfrage auch bei Berufsverbänden von Medienschaffenden aus. »Die geheimdienstliche Ausspähung von Journalisten ist ein eklatanter Verstoß gegen die grundgesetzlich verankerte Pressefreiheit«, kritisierte Andreas Köhn, Fachbereichsleiter Medien der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di Berlin-Brandenburg, am Mittwoch auf Anfrage dieser Zeitung. Informantenschutz und Redaktionsgeheimnisse seien wesentliche Grundpfeiler der Pressefreiheit in Deutschland, stellte Köhn klar. »Lächerlich wird es außerdem dann, wenn einerseits behauptet wird, daß man keine berufsbezogene Erfassung und Bespitzelung vorgenommen hätte, aber andererseits argumentiert, es gäbe keine Abgrenzung zwischen Journalisten und Publizisten«, kritisierte der Gewerkschafter weiter. Eben dies hatte das Innenministerium in seiner Antwort behauptet.
Publizisten seien »bekanntermaßen Journalisten und Schriftsteller, die zur öffentlichen Meinungsbildung beitragen und damit denn geschützten grundgesetzlichen Auftrag im demokratischen Gemeinwesen erfüllen«, so Köhn im Gespräch mit jW. Er sieht einen weiteren »Tiefpunkt des Abschieds von demokratischen Grundrechten in Deutschland«
jw