Notanker Nebenjob
Erwerbsarmut in Deutschland: Anzahl der Multijobber in zehn Jahren verdoppelt. Panikmache vor Einführung von flächendeckendem Mindestlohn hält an
Von Stefan Huth
Aus der Arbeit in den Job: Immer weniger Bundesbürger können von ihrem Hauptberuf leben und sind auf eine weitere Geldquelle angewiesen. Seit 2003 hat sich die Zahl derjenigen, die einer geringfügig entlohnten Beschäftigung nachgehen, mehr als verdoppelt: Im Juni 2013 bezogen 2,6 Millionen Erwerbstätige zusätzliche Einkünfte in Höhe von monatlich 450 Euro aus einem »Minijob«, jeder elfte in dieser Gruppe; 2003 war es nur jeder 23. Beschäftigte. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Grünen-Bundestagsabgeordneten Brigitte Pothmer hervor, aus der die Saarbrücker Zeitung am Mittwoch zitierte. Die Angaben beziehen sich auf die Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit, die Zahl dürfte bei Berücksichtigung der nicht gemeldeten Multijobber deutlich höher liegen.
»Es ist sicher kein Zufall, daß auch der Niedriglohnsektor in Deutschland im gleichen Zeitraum angewachsen ist«, so Brigitte Pothmer am Mittwoch in einer Pressemitteilung. Sie forderte, den geplanten Mindestlohn von 8,50 Euro auch auf die Minijobs auszudehnen. »Eine Ausnahme würde die Schwächsten treffen, die den gesetzlichen Schutz vor Lohndumping am nötigsten haben.«
Daß die Prekarisierung des Arbeitsmarktes nicht zuletzt ein Resultat rot-grüner Regierungspolitik ist, verschwieg Pothmer indes geflissentlich. Schließlich war es die unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder im März 2003 unter dem Label »Agenda 2010« eingeführte Kahlschlagpolitik, die auch mit einer Liberalisierung der Zeitarbeit und der Einführung von »Hartz IV«, Privatrente und Minijobs zu einer flächendeckenden Senkung des Lohnniveaus in der Bundesrepublik geführt hat. Die Antwort der Bundesregierung wurde der »liebe (n) Brigitte«, so die Anrede im Begleitschreiben, übrigens von Staatssekretärin Anette Kramme (SPD) übermittelt – soviel Nähe darf bei aller Kritik immer noch sein.
Die Antwort der Regierung kam einen Tag nach der Veröffentlichung einer Studie, die der Linzer »Arbeitsmarktexperte« Friedrich Schneider gemeinsam mit dem Tübinger Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung erstellt hat und die vor einem Anstieg der Schwarzarbeit infolge des flächendeckenden Mindestlohns warnt, den die große Koalition Anfang 2015 einführen will. Minijobs hätten zu einem Rückgang der »Schattenwirtschaft« geführt, ein Ergebnis, das durch die geplanten Maßnahmen gefährdet werde. Michaela Rosenberger, Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuß-Gaststätten (NGG), hat diese These am Mittwoch scharf zurückgewiesen. Völlig unbewiesen werde versucht, einen allgemeinen Mindestlohn zu diskreditieren. Dringend notwendig sei die Reform der geringfügigen Beschäftigung als eigentlicher Motor von Schwarzarbeit. »Leicht gemacht wird die Schwarzarbeit insbesondere durch die Möglichkeit der geringfügigen Beschäftigung. Jeder zweite Beschäftigte im Gastgewerbe – 850000 Minijobber, vor allem Frauen – arbeitet heute schon nicht mehr in einem Normalarbeitsverhältnis. Tendenz steigend.«
Sabine Zimmermann, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, forderte am Mittwoch in Reaktion auf die Antwort der Regierung auf Pothmers Anfrage »die schnellstmögliche Einführung eines tatsächlich flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns von zehn Euro in der Stunde und die Abschaffung systematischer Niedriglohnbeschäftigung durch Leiharbeit und Werkverträge«.
jw
Erwerbsarmut in Deutschland: Anzahl der Multijobber in zehn Jahren verdoppelt. Panikmache vor Einführung von flächendeckendem Mindestlohn hält an
Von Stefan Huth
Aus der Arbeit in den Job: Immer weniger Bundesbürger können von ihrem Hauptberuf leben und sind auf eine weitere Geldquelle angewiesen. Seit 2003 hat sich die Zahl derjenigen, die einer geringfügig entlohnten Beschäftigung nachgehen, mehr als verdoppelt: Im Juni 2013 bezogen 2,6 Millionen Erwerbstätige zusätzliche Einkünfte in Höhe von monatlich 450 Euro aus einem »Minijob«, jeder elfte in dieser Gruppe; 2003 war es nur jeder 23. Beschäftigte. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Grünen-Bundestagsabgeordneten Brigitte Pothmer hervor, aus der die Saarbrücker Zeitung am Mittwoch zitierte. Die Angaben beziehen sich auf die Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit, die Zahl dürfte bei Berücksichtigung der nicht gemeldeten Multijobber deutlich höher liegen.
»Es ist sicher kein Zufall, daß auch der Niedriglohnsektor in Deutschland im gleichen Zeitraum angewachsen ist«, so Brigitte Pothmer am Mittwoch in einer Pressemitteilung. Sie forderte, den geplanten Mindestlohn von 8,50 Euro auch auf die Minijobs auszudehnen. »Eine Ausnahme würde die Schwächsten treffen, die den gesetzlichen Schutz vor Lohndumping am nötigsten haben.«
Daß die Prekarisierung des Arbeitsmarktes nicht zuletzt ein Resultat rot-grüner Regierungspolitik ist, verschwieg Pothmer indes geflissentlich. Schließlich war es die unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder im März 2003 unter dem Label »Agenda 2010« eingeführte Kahlschlagpolitik, die auch mit einer Liberalisierung der Zeitarbeit und der Einführung von »Hartz IV«, Privatrente und Minijobs zu einer flächendeckenden Senkung des Lohnniveaus in der Bundesrepublik geführt hat. Die Antwort der Bundesregierung wurde der »liebe (n) Brigitte«, so die Anrede im Begleitschreiben, übrigens von Staatssekretärin Anette Kramme (SPD) übermittelt – soviel Nähe darf bei aller Kritik immer noch sein.
Die Antwort der Regierung kam einen Tag nach der Veröffentlichung einer Studie, die der Linzer »Arbeitsmarktexperte« Friedrich Schneider gemeinsam mit dem Tübinger Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung erstellt hat und die vor einem Anstieg der Schwarzarbeit infolge des flächendeckenden Mindestlohns warnt, den die große Koalition Anfang 2015 einführen will. Minijobs hätten zu einem Rückgang der »Schattenwirtschaft« geführt, ein Ergebnis, das durch die geplanten Maßnahmen gefährdet werde. Michaela Rosenberger, Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuß-Gaststätten (NGG), hat diese These am Mittwoch scharf zurückgewiesen. Völlig unbewiesen werde versucht, einen allgemeinen Mindestlohn zu diskreditieren. Dringend notwendig sei die Reform der geringfügigen Beschäftigung als eigentlicher Motor von Schwarzarbeit. »Leicht gemacht wird die Schwarzarbeit insbesondere durch die Möglichkeit der geringfügigen Beschäftigung. Jeder zweite Beschäftigte im Gastgewerbe – 850000 Minijobber, vor allem Frauen – arbeitet heute schon nicht mehr in einem Normalarbeitsverhältnis. Tendenz steigend.«
Sabine Zimmermann, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, forderte am Mittwoch in Reaktion auf die Antwort der Regierung auf Pothmers Anfrage »die schnellstmögliche Einführung eines tatsächlich flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns von zehn Euro in der Stunde und die Abschaffung systematischer Niedriglohnbeschäftigung durch Leiharbeit und Werkverträge«.
jw