Tod eines Kriegers
Israels Exregierungschef Ariel Scharon gestorben. In Erinnerung bleibt er als Verantwortlicher der Massaker von Sabra und Schatila
Von Knut Mellenthin
Ariel Scharon ist tot. Der frühere israelische Regierungschef starb am Samstag im Alter von 85 Jahren in einem Krankenhaus bei Tel Aviv. Seit einem schweren Schlaganfall am 4. Januar 2006 war sein Körper nur noch künstlich am Leben erhalten worden. Scharons Name ist untrennbar mit dem Massaker von Sabra und Schatila verbunden. Dort hatten libanesische Faschisten im September 1982 unter dem Schutz der israelischen Streitkräfte in einer zweitägigen Orgie sadistischer Gewalt zwischen 1300 und 3000 palästinensische Frauen, Kinder und Männer abgeschlachtet.
Scharon, 1928 im damals noch britischen Palästina geborener Sohn weißrussischer Einwanderer, schloß sich schon als Kind der zionistischen Jugendbewegung an, wurde mit 14 Mitglied einer paramilitärischen Organisation und im Herbst 1947 mit 19 Jahren Soldat. Der erste israelisch-arabische Krieg, der nach offizieller zionistischer Geschichtsschreibung erst nach der Staatsgründung im Mai 1948 begann, wurde in Wirklichkeit gleich nach der Teilungsresolution der UNO vom 29. November 1947 eröffnet. Ein wesentlicher Teil der Aktivitäten von Scharons Einheit bestand in diesem Stadium darin, arabische Dörfer zu überfallen und ihre Zufahrtswege abzuschneiden.
Nach dem 1949 geschlossenen Waffenstillstand gehörte Scharon Anfang der 1950er Jahre als Offizier zur »Einheit 101«, die – angeblich als Vergeltung für Angriffe palästinensischer Partisanen – regelmäßig nächtliche Vorstöße auf die Westbank unternahm, die damals von Jordanien kontrolliert wurde. Unter Scharons Verantwortung fand am 14. und 15. Oktober 1953 das Massaker von Kibya statt, bei dem die Einheit 69 Bewohner, mehrheitlich Kinder und Frauen, ermordete. Als Kommandeur von immer größeren Truppenteilen machte sich Scharon im Suezkrieg gegen Ägypten 1956, im Junikrieg 1967 und im Oktoberkrieg 1973 einen Namen. Sein Vorgehen, das sich durch große Risikofreudigkeit und Draufgängertum auszeichnete, war allerdings unter israelischen Politikern und Militärs oft umstritten.
Seit den frühen 1970er Jahren engagierte sich Scharon auch parteipolitisch mit großem Ehrgeiz. Er war 1973 maßgeblich am Zusammenschluß der Rechten zum Likud beteiligt, versuchte wenige Jahre später vergeblich sein Glück bei der Arbeitspartei und kehrte danach zum Likud zurück. 1977 übernahm die Partei unter Menachem Begin zum ersten Mal in der Geschichte Israels die Regierung. Scharon war Verteidigungsminister, als die israelischen Streitkräfte am 6. Juni 1982 in den Libanon einmarschierten. Das erklärte Ziel war, die PLO zu zerschlagen, die damals dort den Hauptteil ihrer militärischen Kräfte und politischen Strukturen hatte. Die Israelis rückten in wenigen Tagen bis Beirut vor und besetzten den Ostteil der Stadt, während die PLO unter Führung von Jassir Arafat in Westbeirut ausharrte. Unter Vermittlung der USA wurde schließlich ein »ehrenvoller Abzug« von rund 14000 palästinensischen Kämpfern in verschiedene Länder des Nahen Ostens und nach Tunesien vereinbart. Eine internationale Truppe – bestehend aus US-amerikanischen, französischen, britischen und italienischen Soldaten – übernahm den Schutz des Abzugs und der palästinensischen Flüchtlingslager.
Kurz nachdem die letzten bewaffneten Palästinenser am 1. September die libanesische Hauptstadt verlassen hatten, zog sich auch die internationale Truppe zurück. Scharon zögerte nicht lange und ließ in einem eklatanten Bruch der Waffenstillstandsvereinbarungen seine Streitkräfte am 15. September 1982 nach Westbeirut vorrücken. Die israelischen Truppen übergaben die Flüchtlingslager von Sabra und Schatila einer faschistischen Miliz, riegelten die Zugänge ab, so daß niemand entkommen konnte, und sahen dem Morden dann 36 Stunden lang zu. Viele Leichen waren grauenhaft verstümmelt, Frauen vor ihrem Tod vergewaltigt, junge Männer kastriert worden. Eine von der israelischen Regierung eingesetzte Untersuchungskommission kam ein Jahr später zu dem mildesten nur möglichen Ergebnis: Scharon trage eine Mitschuld an dem Massaker, da er fahrlässig und verantwortungslos gehandelt habe. Er mußte als Verteidigungsminister zurücktreten, blieb aber Regierungsmitglied ohne Geschäftsbereich.
Kurz bevor er ins Koma fiel, überwarf sich Scharon wegen des einseitigen Rückzugs aus dem Gaza-Gebiet mit seiner eigenen Partei – ein in der israelischen Geschichte durchaus nicht einmaliger Vorgang. Mit Dissidenten aus dem Likud und der Arbeitspartei gründete er eine neue politische Formation, die Kadima. Bei der Parlamentswahl am 28. März 2006, Scharon lag da bereits seit fast einem Vierteljahr im Koma, wurde die Kadima stärkste Kraft. Heute sind ihr die meisten prominenten Gründungsmitglieder abhanden gekommen, es gab mehrere Abspaltungen, die Partei ist zur Bedeutungslosigkeit zusammengeschrumpft. Auf der anderen Seite hat sich der Likud stabilisiert und erholt – und Israels Parteienspektrum steht weiter rechts als jemals zuvor.
jw
Israels Exregierungschef Ariel Scharon gestorben. In Erinnerung bleibt er als Verantwortlicher der Massaker von Sabra und Schatila
Von Knut Mellenthin
Ariel Scharon ist tot. Der frühere israelische Regierungschef starb am Samstag im Alter von 85 Jahren in einem Krankenhaus bei Tel Aviv. Seit einem schweren Schlaganfall am 4. Januar 2006 war sein Körper nur noch künstlich am Leben erhalten worden. Scharons Name ist untrennbar mit dem Massaker von Sabra und Schatila verbunden. Dort hatten libanesische Faschisten im September 1982 unter dem Schutz der israelischen Streitkräfte in einer zweitägigen Orgie sadistischer Gewalt zwischen 1300 und 3000 palästinensische Frauen, Kinder und Männer abgeschlachtet.
Scharon, 1928 im damals noch britischen Palästina geborener Sohn weißrussischer Einwanderer, schloß sich schon als Kind der zionistischen Jugendbewegung an, wurde mit 14 Mitglied einer paramilitärischen Organisation und im Herbst 1947 mit 19 Jahren Soldat. Der erste israelisch-arabische Krieg, der nach offizieller zionistischer Geschichtsschreibung erst nach der Staatsgründung im Mai 1948 begann, wurde in Wirklichkeit gleich nach der Teilungsresolution der UNO vom 29. November 1947 eröffnet. Ein wesentlicher Teil der Aktivitäten von Scharons Einheit bestand in diesem Stadium darin, arabische Dörfer zu überfallen und ihre Zufahrtswege abzuschneiden.
Nach dem 1949 geschlossenen Waffenstillstand gehörte Scharon Anfang der 1950er Jahre als Offizier zur »Einheit 101«, die – angeblich als Vergeltung für Angriffe palästinensischer Partisanen – regelmäßig nächtliche Vorstöße auf die Westbank unternahm, die damals von Jordanien kontrolliert wurde. Unter Scharons Verantwortung fand am 14. und 15. Oktober 1953 das Massaker von Kibya statt, bei dem die Einheit 69 Bewohner, mehrheitlich Kinder und Frauen, ermordete. Als Kommandeur von immer größeren Truppenteilen machte sich Scharon im Suezkrieg gegen Ägypten 1956, im Junikrieg 1967 und im Oktoberkrieg 1973 einen Namen. Sein Vorgehen, das sich durch große Risikofreudigkeit und Draufgängertum auszeichnete, war allerdings unter israelischen Politikern und Militärs oft umstritten.
Seit den frühen 1970er Jahren engagierte sich Scharon auch parteipolitisch mit großem Ehrgeiz. Er war 1973 maßgeblich am Zusammenschluß der Rechten zum Likud beteiligt, versuchte wenige Jahre später vergeblich sein Glück bei der Arbeitspartei und kehrte danach zum Likud zurück. 1977 übernahm die Partei unter Menachem Begin zum ersten Mal in der Geschichte Israels die Regierung. Scharon war Verteidigungsminister, als die israelischen Streitkräfte am 6. Juni 1982 in den Libanon einmarschierten. Das erklärte Ziel war, die PLO zu zerschlagen, die damals dort den Hauptteil ihrer militärischen Kräfte und politischen Strukturen hatte. Die Israelis rückten in wenigen Tagen bis Beirut vor und besetzten den Ostteil der Stadt, während die PLO unter Führung von Jassir Arafat in Westbeirut ausharrte. Unter Vermittlung der USA wurde schließlich ein »ehrenvoller Abzug« von rund 14000 palästinensischen Kämpfern in verschiedene Länder des Nahen Ostens und nach Tunesien vereinbart. Eine internationale Truppe – bestehend aus US-amerikanischen, französischen, britischen und italienischen Soldaten – übernahm den Schutz des Abzugs und der palästinensischen Flüchtlingslager.
Kurz nachdem die letzten bewaffneten Palästinenser am 1. September die libanesische Hauptstadt verlassen hatten, zog sich auch die internationale Truppe zurück. Scharon zögerte nicht lange und ließ in einem eklatanten Bruch der Waffenstillstandsvereinbarungen seine Streitkräfte am 15. September 1982 nach Westbeirut vorrücken. Die israelischen Truppen übergaben die Flüchtlingslager von Sabra und Schatila einer faschistischen Miliz, riegelten die Zugänge ab, so daß niemand entkommen konnte, und sahen dem Morden dann 36 Stunden lang zu. Viele Leichen waren grauenhaft verstümmelt, Frauen vor ihrem Tod vergewaltigt, junge Männer kastriert worden. Eine von der israelischen Regierung eingesetzte Untersuchungskommission kam ein Jahr später zu dem mildesten nur möglichen Ergebnis: Scharon trage eine Mitschuld an dem Massaker, da er fahrlässig und verantwortungslos gehandelt habe. Er mußte als Verteidigungsminister zurücktreten, blieb aber Regierungsmitglied ohne Geschäftsbereich.
Kurz bevor er ins Koma fiel, überwarf sich Scharon wegen des einseitigen Rückzugs aus dem Gaza-Gebiet mit seiner eigenen Partei – ein in der israelischen Geschichte durchaus nicht einmaliger Vorgang. Mit Dissidenten aus dem Likud und der Arbeitspartei gründete er eine neue politische Formation, die Kadima. Bei der Parlamentswahl am 28. März 2006, Scharon lag da bereits seit fast einem Vierteljahr im Koma, wurde die Kadima stärkste Kraft. Heute sind ihr die meisten prominenten Gründungsmitglieder abhanden gekommen, es gab mehrere Abspaltungen, die Partei ist zur Bedeutungslosigkeit zusammengeschrumpft. Auf der anderen Seite hat sich der Likud stabilisiert und erholt – und Israels Parteienspektrum steht weiter rechts als jemals zuvor.
jw