Unter Weißen
Übergabe einiger im Kolonialkrieg geraubter Gebeine an Namibia. Nachkommen der Opfer und afrodeutsche Aktivisten nicht zur Zeremonie geladen
Von Michael Streitberg
Die anatomische Abteilung der Berliner Charité ist eher selten Ort von Protestkundgebungen. Am Mittwoch nachmittag jedoch fanden sich die altehrwürdigen Räume im Blitzlichtgewitter wieder, lautstarke Auseinandersetzungen inklusive: Die Übergabe der sterblichen Überreste von 21 Menschen an Namibia fand statt. Bis zu 10000 Gebeine wurden während des unter deutscher Kolonialherrschaft verübten Völkermordes an den Herero und Nama ab 1905 außer Landes geschafft. Viele wurden in Universitäten und Kliniken für pseudowissenschaftliche Forschungen mißbraucht, um eine Überlegenheit der Weißen zu behaupten. Es dauerte etwa hundert Jahre, bis Wissenschaft und Politik in Deutschland zur Überzeugung kamen, einige Gebeine zurückzugeben. Ein großer Teil der menschlichen Überreste kursiert immer noch zwischen Sammlungen und Instituten oder ist mittlerweile zerstört.
Vor dem Gebäude entrollten Aktivisten des Bündnisses »Völkermord verjährt nicht« ein Transparent. Am Eingang stellten sie Schilder mit der Aufschrift »For Whites only« (»Nur für Weiße«) auf. Ein Spruch, der zur Zeit der Apartheid allgegenwärtig war. Tahir Della von der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD) beklagte, daß die Rückführung der Gebeine nicht mit den Nachkommen der Opfer verhandelt worden sei. Nun debattierten wieder nur Weiße mit Weißen. Nichts Neues für Tahir Della: Diskriminiert werden Schwarze in Deutschland alltäglich. Als Beispiel nannte Della das »Racial Profiling«, willkürliche Polizeikontrollen nur aufgrund der Hautfarbe. »Wir haben die Geduld verloren«, betonte Moctar Kamara, Vorsitzender des Zentralrats der Afrikanischen Gemeinde. Eine neue Generation von Afrikanern in Deutschland ließe sich nicht länger ausgrenzen.
Bereits vor der offiziellen Zeremonie hatten unter anderem »Berlin Postkolonial« und die ISD auf einer Pressekonferenz scharfe Kritik an der Übergabezeremonie. Nachkommen der Opfer hatten keine Einladungen bekommen. Statt dessen gab es standardisierte Absagen, in denen etwa auf mangelnden Platz im Saal verwiesen wurde. Dies, beklagten die Initiativen, stehe sinnbildlich für die andauernde Geringschätzung im gesellschaftlichen Umgang mit schwarzen Menschen und Personen nichtdeutscher Herkunft. Viele ließen sich dennoch nicht davon abhalten, auch ohne Einladung ins Gebäude der Charité zu kommen.
Der in Berlin lebende Herero Israel Kaunatjike forderte von der Bundesregierung eine offizielle Entschuldigung sowie eine materielle Entschädigung für den Völkermord. Zwischen 1884 und 1915 war Namibia als »Deutsch-Südwestafrika« eine deutsche Kolonie. Unter der Führung Samuel Mahareros trat die Bevölkerungsgruppe der Herero im Jahr 1904 in den Widerstand gegen die Kolonisatoren. Später nahmen auch die im Süden Namibias lebenden Nama den Kampf auf. Die als »Schutztruppe« bezeichnete deutsche Kolonialarmee schlug die Aufstände mit großer Brutalität nieder. Dem dabei verübten Völkermord fielen etwa 85000 Herero und 10000 Nama zum Opfer. Laut Studien der Uni Tübingen besitzen Nachfahren deutscher Siedler heute noch etwa ein Drittel des Farmlandes, während ihr Anteil an der Bevölkerung nur ein Prozent betrage. Kaunatjike forderte eine umfassende Landreform, herkömmliche Entwicklungshilfe hingegen bringe den Menschen nichts.
Das Bündnis kritisierte zudem Aufrufe deutscher Politiker, unter anderem von Bundespräsident Gauck, zur verstärkten militärischen Präsenz in Afrika. Anstatt weitere koloniale Abenteuer zu planen und neue »Schutztruppen« in Bewegung zu setzen, solle die Regierung sich lieber der Aufarbeitung der Vergangenheit widmen. Denn bis heute weigert sich die BRD, den Vernichtungsfeldzug in Namibia als Völkermord zu bezeichnen.
jw
Übergabe einiger im Kolonialkrieg geraubter Gebeine an Namibia. Nachkommen der Opfer und afrodeutsche Aktivisten nicht zur Zeremonie geladen
Von Michael Streitberg
Die anatomische Abteilung der Berliner Charité ist eher selten Ort von Protestkundgebungen. Am Mittwoch nachmittag jedoch fanden sich die altehrwürdigen Räume im Blitzlichtgewitter wieder, lautstarke Auseinandersetzungen inklusive: Die Übergabe der sterblichen Überreste von 21 Menschen an Namibia fand statt. Bis zu 10000 Gebeine wurden während des unter deutscher Kolonialherrschaft verübten Völkermordes an den Herero und Nama ab 1905 außer Landes geschafft. Viele wurden in Universitäten und Kliniken für pseudowissenschaftliche Forschungen mißbraucht, um eine Überlegenheit der Weißen zu behaupten. Es dauerte etwa hundert Jahre, bis Wissenschaft und Politik in Deutschland zur Überzeugung kamen, einige Gebeine zurückzugeben. Ein großer Teil der menschlichen Überreste kursiert immer noch zwischen Sammlungen und Instituten oder ist mittlerweile zerstört.
Vor dem Gebäude entrollten Aktivisten des Bündnisses »Völkermord verjährt nicht« ein Transparent. Am Eingang stellten sie Schilder mit der Aufschrift »For Whites only« (»Nur für Weiße«) auf. Ein Spruch, der zur Zeit der Apartheid allgegenwärtig war. Tahir Della von der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD) beklagte, daß die Rückführung der Gebeine nicht mit den Nachkommen der Opfer verhandelt worden sei. Nun debattierten wieder nur Weiße mit Weißen. Nichts Neues für Tahir Della: Diskriminiert werden Schwarze in Deutschland alltäglich. Als Beispiel nannte Della das »Racial Profiling«, willkürliche Polizeikontrollen nur aufgrund der Hautfarbe. »Wir haben die Geduld verloren«, betonte Moctar Kamara, Vorsitzender des Zentralrats der Afrikanischen Gemeinde. Eine neue Generation von Afrikanern in Deutschland ließe sich nicht länger ausgrenzen.
Bereits vor der offiziellen Zeremonie hatten unter anderem »Berlin Postkolonial« und die ISD auf einer Pressekonferenz scharfe Kritik an der Übergabezeremonie. Nachkommen der Opfer hatten keine Einladungen bekommen. Statt dessen gab es standardisierte Absagen, in denen etwa auf mangelnden Platz im Saal verwiesen wurde. Dies, beklagten die Initiativen, stehe sinnbildlich für die andauernde Geringschätzung im gesellschaftlichen Umgang mit schwarzen Menschen und Personen nichtdeutscher Herkunft. Viele ließen sich dennoch nicht davon abhalten, auch ohne Einladung ins Gebäude der Charité zu kommen.
Der in Berlin lebende Herero Israel Kaunatjike forderte von der Bundesregierung eine offizielle Entschuldigung sowie eine materielle Entschädigung für den Völkermord. Zwischen 1884 und 1915 war Namibia als »Deutsch-Südwestafrika« eine deutsche Kolonie. Unter der Führung Samuel Mahareros trat die Bevölkerungsgruppe der Herero im Jahr 1904 in den Widerstand gegen die Kolonisatoren. Später nahmen auch die im Süden Namibias lebenden Nama den Kampf auf. Die als »Schutztruppe« bezeichnete deutsche Kolonialarmee schlug die Aufstände mit großer Brutalität nieder. Dem dabei verübten Völkermord fielen etwa 85000 Herero und 10000 Nama zum Opfer. Laut Studien der Uni Tübingen besitzen Nachfahren deutscher Siedler heute noch etwa ein Drittel des Farmlandes, während ihr Anteil an der Bevölkerung nur ein Prozent betrage. Kaunatjike forderte eine umfassende Landreform, herkömmliche Entwicklungshilfe hingegen bringe den Menschen nichts.
Das Bündnis kritisierte zudem Aufrufe deutscher Politiker, unter anderem von Bundespräsident Gauck, zur verstärkten militärischen Präsenz in Afrika. Anstatt weitere koloniale Abenteuer zu planen und neue »Schutztruppen« in Bewegung zu setzen, solle die Regierung sich lieber der Aufarbeitung der Vergangenheit widmen. Denn bis heute weigert sich die BRD, den Vernichtungsfeldzug in Namibia als Völkermord zu bezeichnen.
jw